Kontext der Entscheidung
Der Pflichtteilsberechtigte kann verlangen, dass der Erbe ihm Auskunft über den Bestand des Nachlasses erteilt (§ 2314 Abs. 1 Satz 1 BGB). Diese Auskunft hat der Erbe zu erteilen, indem er dem Pflichtteilsberechtigten ein Nachlassverzeichnis nach § 260 BGB vorlegt (§ 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB).
Das Nachlassverzeichnis hat über den Wortlaut „Nachlassgegenstände“ des § 2314 Abs. 1 Satz 2 BGB hinaus sämtliche Aktiva und Passiva sowie potentiell ausgleichungs- oder ergänzungspflichtige lebzeitige Zuwendungen zu umfassen. Es hat zudem die Umstände anzugeben, die die Pflichtteilsberechtigung beeinflussen und deren Kenntnis zur Durchsetzung des Pflichtteilsanspruches erforderlich ist, etwa den ehelichen Güterstand des Erblassers (Birkenheier in: Herberger/Martinek/Rüßmann/Weth/Würdinger, jurisPK-BGB, 9. Aufl. § 2314 BGB, Rn. 40 m.w.N.).
Sind einzelne Angaben im vorgelegten Verzeichnis unrichtig oder unvollständig, ist der Anspruch auf Vorlage des Verzeichnisses grundsätzlich dennoch erfüllt. Besteht Grund zu der Annahme, dass das Verzeichnis nicht mit der erforderlichen Sorgfalt aufgestellt worden ist, kann der Pflichtteilsberechtigte nach § 260 Abs. 2 BGB verlangen, dass der Erbe zu Protokoll an Eides statt versichert, nach bestem Wissen den Bestand so vollständig angegeben zu haben, als er dazu im Stande ist.
Dem Verzeichnis ist jedoch die Erfüllungswirkung abzusprechen, wenn es die Formalanforderungen der §§ 2314 Abs. 1, 260 Abs. 1 BGB verfehlt. Hierunter fallen fehlende Auskunftsteile, unrichtige Auskunftsmaßstäbe und Verfahrensfehler, nicht jedoch die von § 260 Abs. 2 BGB abgedeckten bloßen Sorgfaltsmängel.
Beziehen sich die formellen Mängel (scheinbar) nur auf bestimmte Teile des Verzeichnisses, ist in den Entscheidungsgründen mitunter davon die Rede, der Pflichtteilsberechtigte habe Anspruch, dass der Erbe das Verzeichnis „ergänzt“ (vgl. RG, Urt. v. 12.01.1914 - IV 492/13 - RGZ 84, 41, 44; BGH, Urt. v. 20.05.2020 - IV ZR 193/19 - ErbR 2020, 555 m. Anm. Fleischer/Horn; OLG Hamm, Beschl. v. 16.03.2020 - I-5 W 19/20).
Die Rede vom Anspruch auf „Ergänzung“ des vorgelegten Verzeichnisses erweckt den Eindruck, der Anspruch aus den §§ 2314 Abs. 1, 260 Abs. 1 BGB sei in solchen Fällen teilweise erfüllt, mithin teilweise erloschen (§ 362 Abs. 1 BGB). Konsequent zu Ende gedacht ergibt sich daraus ein Tenor wie der vorliegende, laut dem der Beklagte das Verzeichnis nur noch „ergänzen“ soll.
Allerdings hat das OLG Düsseldorf in einem Urteil zur Auskunftspflicht des Erbschaftsbesitzers nach § 2027 Abs. 2 BGB ausgeführt, dass der Anspruch auf Vorlage eines Verzeichnisses i.S.d. § 260 Abs. 1 BGB voll weiterverfolgt werden könne, solange die Auskunft formell unvollständig ist. Das Verzeichnis erfordere eine Auskunft, die in sich geschlossen, vollständig und mit der Erklärung verbunden sein müsse, zu weiteren Informationen nicht imstande zu sein (OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.06.1991 - 7 U 163/90 Rn. 8).
Der BGH hat zu einer Vermögensauskunft beim Unterhalt entschieden, dass Teilauskünfte nicht zu einer Teilerfüllung des Auskunftsanspruchs führen. Der Ehemann berief sich darauf, den Anspruch teilweise erfüllt zu haben, da er bestimmte Posten bereits einwandfrei beauskunftet hatte. Der BGH erteilte dem eine Absage. Das nach den §§ 1605 Abs. 1 Satz 3, 260, 261 BGB zu erteilende Verzeichnis sei nur durch eine in sich geschlossene systematische Aufstellung erfüllbar, die dem Berechtigten ohne übermäßigen Arbeitsaufwand ermöglicht, den Anspruch zu berechnen. Zwar könne statt eines einzigen lückenlosen Gesamtverzeichnisses das Verzeichnis auch durch eine Mehrheit von Teilauskünften erteilt werden. Dies setze jedoch voraus, dass die Teile nicht zusammenhanglos nebeneinander stehen, sondern nach dem erklärten Willen des Auskunftsschuldners in ihrer Summierung die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darstellen. Ob einzelne Teilauskünfte i.V.m. anderen Teilauskünften nach Inhalt und Form geeignet seien, die Auskunft im geschuldeten Gesamtumfang darzustellen, sei eine Frage der tatrichterlichen Beurteilung. Teilauskünfte führten aber nicht zu einer teilweisen Erfüllung des Auskunftsanspruchs. Die Aussagekraft und Erfüllungswirkung einzelner Teile könne regelmäßig erst dann beurteilt werden, wenn auch die übrigen Teile vorliegen nebst der erforderlichen Erklärung, dass diese in ihrer Gesamtheit den Auskunftsanspruch vollständig erfüllen sollen. Denn wesentlich für die Erfüllung sei die – ggf. konkludente – Erklärung, dass weitere als die von den Einzelauskünften erfassten Positionen nicht bestehen. Erst mit dieser abschließenden Erklärung liege das nach § 260 Abs. 1 BGB geschuldete Verzeichnis vor (BGH, Beschl. v. 22.10.2014 - XII ZB 385/13).
An dieser abschließenden Erklärung fehlt es, wenn isoliert ein Element nachgeliefert wird. Daher ist bei Ergänzungen und Korrekturen erforderlich, dass der Erbe bzw. Notar erneut die Verzeichniserklärung abgibt, d.h. zum Ausdruck bringt, die Verantwortung dafür zu übernehmen, dass er die zu beauskunftenden Positionen durch die von ihm zu bestimmenden Teile nun so vollständig angegeben habe, wie er dazu imstande ist. Daraus folgt, dass sich der Anspruch des Pflichtteilsberechtigten in solchen Fällen nicht auf die Ergänzung und Korrektur beschränkt, sondern der Anspruch auf Vorlage des Verzeichnisses unerfüllt ist und vollumfänglich fortbesteht.
Der vom OLG Brandenburg zur Wertermittlung gewählte Tenor („den Wert etwaiger für die Pflichtteilsberechnung relevanter Grundstücke … durch ein Sachverständigengutachten eines öffentlich vereidigten Sachverständigen zu ermitteln …, und zwar insbesondere hinsichtlich der Grundstücke [Aufzählung]“) ist in zwei Punkten kritikwürdig:
Zum einen fehlt eine Begründung dafür, zu fordern, dass der Sachverständige öffentlich vereidigt sein soll. Das OLG Brandenburg hätte sich mit der entgegenstehenden obergerichtlichen Rechtsprechung auseinandersetzen sollen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 17.05.1996 - 7 U 126/95; OLG Köln, Urt. v. 26.10.2011 - 2 U 53/11 Rn. 19).
Zum anderen muss der Wertermittlungstenor die Sachen konkret bezeichnen, deren Wert ermittelt werden soll (OLG Köln, Beschl. v. 25.02.2008 - 2 W 80/07). Eine offene Aufzählung (etwaige …, insbesondere …) bleibt hinter den Anforderungen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zurück.
Auswirkungen für die Praxis
Liegt ein die Formalanforderungen der §§ 2314 Abs. 1, 260 Abs. 1 BGB verfehlendes Nachlassverzeichnis vor, ist die Vorlage eines Nachlassverzeichnisses zu beantragen und auszuurteilen, keine Ergänzung, Korrektur oder Vervollständigung. Angaben dazu, inwiefern die bisher vorliegenden Auskünfte unzureichend und etwa zu ergänzen sind, gehören in die Entscheidungsgründe, nicht in den Tenor.
Aus Sicht des Klägers kann sinnvoll sein, im Antrag die Anforderungen an das Verzeichnis soweit wie möglich zu konkretisieren, um für das Vollstreckungsverfahren Sicherheit über den Umfang des Geschuldeten zu gewinnen (Muster: Jan Bittler in: Krug/Rudolf/Kroiß/Bittler, AnwF Erbrecht, 6. Aufl. 2018, § 17 Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen, Rn. 254).
Beklagter und Gericht sollten darauf achten, dass nichts über das vom Anspruch Gedeckte hinaus zugesprochen wird.
Ein Wertermittlungsantrag kann auf erster Stufe der Pflichtteilsstufenklage nur gestellt werden, soweit die zu bewertenden Sachen im Antrag und Tenor konkret bezeichnet werden können.