juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BGH 2. Zivilsenat, Urteil vom 08.11.2022 - II ZR 91/21
Autor:Prof. Dr. Michael Hippeli, LL.M., MBA, Ministerialrat
Erscheinungsdatum:28.03.2023
Quelle:juris Logo
Normen:§ 823 BGB, § 1004 BGB, § 16 GmbHG, § 40 GmbHG, § 43 GmbHG, § 826 BGB
Fundstelle:jurisPR-HaGesR 3/2023 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Jörn-Christian Schulze, RA und FA für Handels- und Gesellschaftsrecht
Zitiervorschlag:Hippeli, jurisPR-HaGesR 3/2023 Anm. 1 Zitiervorschlag

Einreichung einer fehlerhaften Gesellschafterliste als Treuepflichtverletzung



Leitsätze

1. Dem Gesellschafter einer GmbH steht kein Anspruch gegen den Geschäftsführer auf Unterlassung der Einreichung einer zu seinen Lasten materiell unrichtigen Gesellschafterliste zum Handelsregister wegen drohender Verletzung organschaftlicher Pflichten zu.
2. Ein Gesellschafter einer GmbH, der seine Stellung als Geschäftsführer dadurch missbraucht, dass er eine materiell unrichtige Gesellschafterliste zum Handelsregister einreicht, um damit eigennützige Interessen durchzusetzen, verletzt seine gesellschafterliche Treuepflicht gegenüber dem von der Unrichtigkeit nachteilig betroffenen Gesellschafter.
3. Gegen den Gesellschaftergeschäftsführer einer GmbH, der unter Verletzung seiner gesellschafterlichen Treuepflicht eine materiell unrichtige Gesellschafterliste einreichen will, steht dem von der Unrichtigkeit nachteilig betroffenen Gesellschafter ein Unterlassungsanspruch zu, den er mit der vorbeugenden Unterlassungsklage geltend machen kann.



A.
Problemstellung
Die Mehrheitsgesellschafterin und Alleingeschäftsführerin einer zweigliedrigen GmbH drohte dem Minderheitsgesellschafter an, eine neue Gesellschafterliste zum Handelsregister einzureichen, auf der er nicht mehr stehen würde. Die materielle Berechtigung hierfür war dabei höchst zweifelhaft und jedenfalls noch gar nicht geklärt. Nunmehr stellte sich die Frage, ob der Minderheitsgesellschafter erfolgreich einen vorbeugenden Unterlassungsanspruch geltend machen kann, wobei das Ergebnis dogmatisch davon abhängt, ob dieser Anspruch sich strukturell eher gegen die Mehrheitsgesellschafterin oder aber gegen die Alleingeschäftsführerin richtet (wobei hier eine Personenidentität vorlag).


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Kläger und Beklagte zu 1) sind laut aktueller Gesellschafterliste zu 20% und 80% Gesellschafter einer GmbH (Beklagte zu 2)). Die Beklagte zu 1) ist zudem Alleingeschäftsführerin der Beklagten zu 2). Die beiden Gesellschafter hatten ihre Geschäftsanteile 2012 vom damaligen Alleingesellschafter der Beklagten zu 2) per Testament und Vermächtnis ererbt. Die Beklagte zu 1) – die Ehefrau des Erblassers – beantragte 2013 einen Erbschein als Alleinerbin und übertrug sodann den Geschäftsanteil an der Beklagten zu 2) i.H.v. 20% in Erfüllung des Vermächtnisses im Testament an den Kläger weiter. Diese Rechtsgeschäfte machte die Beklagte zu 1) danach wieder rückgängig, indem sie den notariell beurkundeten Erbscheinsantrag wieder zurücknahm und die Anteilsabtretung an den Kläger sowie später auch das Testament anfocht.
2016 erhielt die Beklagte zu 1) nach neuerlichem Antrag einen Erbschein als Alleinerbin. Letztlich wurde 2017 vom damaligen Fremdgeschäftsführer der Beklagten zu 2) die aktuelle Gesellschafterliste eingereicht. Später in 2017 löste die Beklagte zu 1) den bisherigen Fremdgeschäftsführer der Beklagten zu 2) in dieser Funktion ab. 2020 forderte der Kläger zur Einberufung einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung auf, auf der es u.a. um die Abberufung der Beklagten zu 1) als Geschäftsführerin der Beklagten zu 2) wegen gravierender Pflichtverletzungen gehen sollte. In der Folge wurden auf Seiten der Beklagten zu 1) Zweifel an der Gesellschafterstellung des Klägers laut. Angekündigt wurde, dass man dementsprechend eine korrigierte Gesellschafterliste zum Handelsregister einreichen wolle. Hiergegen konnte der Kläger eine einstweilige Verfügung erwirken.
Der Kläger begehrte nun eine gleichlautende Verurteilung der Beklagten auch im Hauptsacheverfahren. Das Landgericht gab der Klage statt. Das OLG wies die hiergegen gerichtete Berufung der Beklagten zurück und ließ in Bezug auf die Beklagte zu 1) die Revision zu.
Die Revision der Beklagten zu 1) blieb vor dem BGH erfolglos. Das OLG habe richtig entschieden.
Es bestehe ein Anspruch des Klägers auf Unterlassung der Einreichung einer Gesellschafterliste zu seinen Lasten. Dieser gesellschaftsvertragliche Unterlassungsanspruch resultiere aus der Verletzung der gesellschafterlichen Treuepflicht seitens der Beklagten zu 1). Ob daneben ein Unterlassungsanspruch aus den §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 2 Satz 1 BGB analog bestehe, müsse nicht mehr entschieden werden.
Gegen die Beklagte zu 1) in ihrer Eigenschaft als Geschäftsführerin bestehe zunächst kein Anspruch auf Unterlassung der Einreichung einer falschen Gesellschafterliste. Ob es einen solchen Anspruch gegen den Geschäftsführer einer GmbH geben kann, sei zwar in der Instanzenrechtsprechung und der Literatur bislang strittig. Gegen einen derartigen Anspruch spreche aber letztlich, dass die Aufnahme eines Gesellschafters in die Gesellschafterliste auf der gesellschafterlichen Treuepflicht beruht, was im Umkehrschluss einen Anspruch auf Unterlassung der Einreichung einer falschen, die Mitgliedschaftsrechte eines Gesellschafters beeinträchtigenden Gesellschafterliste begründet. Denn zu den Mitgliedschaftsrechten zähle auch die formelle Gesellschafterstellung i.S.d. § 16 Abs. 1 Satz 1 GmbHG. Allerdings bestehe zwischen dem betroffenen Gesellschafter und dem Geschäftsführer kein solches Näheverhältnis, welches eine gesellschafterliche Treuepflicht begründen kann. Die Pflicht des Geschäftsführers zum korrekten Umgang mit Gesellschafterlisten folge rein aus seinen allgemeinen Sorgfaltspflichten gegenüber der GmbH.
Jedoch bestehe gegen die Beklagte zu 1) in ihrer Eigenschaft als (Mit-)Gesellschafterin ein Anspruch auf Unterlassung der Einreichung einer falschen Gesellschafterliste. Auch und gerade unter Gesellschaftern bestehe die gesellschafterliche Treuepflicht. Diese bedinge in der Ausprägung als Pflicht zur Rücksichtnahme, dass ein Gesellschafter keine nicht von der Rechtsordnung gedeckten Maßnahmen zulasten seines Mitgesellschafters treffen darf. Insoweit verletze ein Gesellschafter dann die Treuepflicht, sofern er eine materiell unrichtige Gesellschafterliste zum Handelsregister einreicht, um damit zulasten eines Mitgesellschafters eigennützige Interessen durchzusetzen. Der negative Effekt bestehe dabei in der negativen Legitimationswirkung des § 16 Abs. 1 GmbHG insoweit, als dass der betroffene Gesellschafter keine Mitgliedschaftsrechte mehr gegenüber der GmbH wahrnehmen kann. Vorliegend ergebe sich zudem, dass die seitens der Beklagten zu 1) erhobenen Einwände im Hinblick auf einen angeblich unwirksamen Anteilserwerb durch den Kläger nicht durchgreifen dürften. Daraus folge, dass die von Seiten der Beklagten zu 1) angekündigte Einreichung einer neuen Gesellschafterliste zulasten des Klägers der Verfolgung eigennütziger Interessen der Beklagten zu 1) dienen soll. Insoweit würde sie ihre Befugnisse mit dem Ziel ausüben, den Kläger aus der GmbH zu drängen. Hinsichtlich der begehrten Unterlassung könne auch die erforderliche Erstbegehungs- bzw. Wiederholungsgefahr ausgemacht werden. Diese ergebe sich aus einer schriftlichen Ankündigung des künftigen Handelns von Seiten der Beklagten zu 1). Der zustehende Unterlassungsanspruch sei in der Folge auch nicht durch einen Schadensersatzanspruch gegen den Geschäftsführer i.S.d. § 40 Abs. 3 GmbHG gesperrt.


C.
Kontext der Entscheidung
Eine Entscheidung, die nahezu vollkommen überzeugt. Interessant ist dabei zunächst, dass der BGH vorliegend von „gesellschafterlicher Treuepflicht“ spricht, während er sonst eher den Begriff „gesellschaftsrechtliche Treuepflicht“ verwendet (vgl. etwa BGH, Urt. v. 05.06.1975 - II ZR 23/74 - NJW 1976, 191; BGH, Urt. v. 11.12.2006 - II ZR 166/05 - NJW 2007, 917; BGH, Urt. v. 22.01.2019 - II ZR 143/17 - NZG 2019, 702; BGH, Urt. v. 29.09.2020 - II ZR 112/19 - NJW-RR 2021, 294, 297). Zwar finden beide Begriffe in der Praxis oftmals unreflektiert einen synonymen Gebrauch. Offenbar will der BGH aber nun die gesellschafterliche Treuepflicht von einer organschaftlichen Treuepflicht abgrenzen, welche bisweilen ebenfalls unter dem Dach der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht angesiedelt wird (vgl. Hippeli, GmbHR 2016, 1257, 1258). Die organschaftliche Treuepflicht dürfte dabei mit der vom BGH nun herausgestrichenen allgemeinen Sorgfaltspflicht i.S.d. § 43 Abs. 1 GmbHG identisch sein.
Schon die bisherige h.M. ging davon aus, dass sich Ansprüche in Bezug auf Einreichung oder Nichteinreichung einer Gesellschafterliste ausschließlich gegen die GmbH als Verpflichtete richten können, nicht jedoch gegen den Geschäftsführer der GmbH, da nur zwischen dem Gesellschafter und der GmbH ein entsprechendes Rechtsverhältnis besteht (OLG München, Urt. v. 29.07.2010 - 23 U 1997/10; OLG Hamm, Urt. v. 16.04.2014 - I-8 U 82/13 - NZG 2014, 783, 784; OLG Jena, Urt. v. 09.10.2013 - 2 U 678/12 - NZG 2014, 902, 903; KG, Beschl. v. 10.07.2019 - 2 W 16/19 - NZG 2019, 913; Paefgen in: Habersack/Casper/Löbbe, GmbHG, 3. Aufl. 2020, § 40 Rn. 154; Servatius in: Noack/Servatius/Haas, GmbHG, 23. Aufl. 2022, § 40 Rn. 84a). Dagegen ist die Annahme falsch, dass auch den Geschäftsführer eine Form der gesellschaftsrechtlichen Treuepflicht trifft (vgl. OLG Frankfurt, Beschl. v. 30.06.2022 - 5 W 18/22 - NZG 2022, 1629, 1632), wodurch auch er Verpflichteter eines Einreichungs- oder gegenläufigen Unterlassungsanspruchs in Bezug auf eine Gesellschafterliste sein kann. Dies ergibt sich bereits aus dem vorliegenden Wortlaut „gesellschafterliche Treuepflicht“: Wird der Geschäftsführer als Geschäftsführer in Bezug genommen – er kann bei der GmbH auch ein reiner Fremdgeschäftsführer ohne Geschäftsanteile sein –, ist er kein Gesellschafter und kann schon deswegen nicht der gesellschafterlichen Treuepflicht unterliegen. Sollte er dagegen Gesellschaftergeschäftsführer sein, also auch Geschäftsanteile halten, ist für die gesellschafterliche Treuepflicht allein auf die Gesellschafterstellung des Gesellschaftergeschäftsführers abzustellen (vgl. dazu OLG Rostock, Urt. v. 22.03.2021 - 1 U 115/14).
Der Fall erinnert im Übrigen frappant an einen anderen Fall der letzten Zeit, welcher vom II. Zivilsenat des BGH entschieden wurde (BGH, Urt. v. 06.12.2022 - II ZR 187/21). Auch dort ging es um eine zweigliedrige GmbH mit denselben Beteiligungsverhältnissen. Und auch dort ging es um das Ausnutzen einer formalen Rechtsposition durch den Mehrheitsgesellschafter. Da dies allerdings bereits eingetreten war und rückgängig gemacht werden sollte, lief der durchgegangene Anspruch über § 826 BGB und nicht über die gesellschafterliche/gesellschaftsrechtliche Treuepflicht. Der Vergleich der beiden Fälle offenbart dabei das bis heute nicht exakt geklärte Verhältnis zwischen den beiden Anspruchsgrundlagen bei Fehlverhalten eines Gesellschafters gegenüber einem Mitgesellschafter.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Die Auswirkungen für die Praxis bestehen darin, dass nun auch höchstrichterlich geklärt ist, dass sich Ansprüche auf Einreichung oder Unterlassung der Einreichung einer Gesellschafterliste jedenfalls nicht gegen den Geschäftsführer einer GmbH richten können.



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