A. Hintergrund
Am 19.03.2025 hat die EU-Kommission ihre „Strategie für eine Spar- und Investitionsunion zur Verbesserung der finanziellen Möglichkeiten der Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen in der EU“ vorgestellt.1 Diese Strategie wurde kurz danach auch im Ganzen online veröffentlicht.2
Strategien sind ein Mittel für Initiativen der EU-Kommission zum Zweck der Förderung der allgemeinen Interessen der Union i.S.d. Art. 17 Abs. 1 Satz 1 EUV. Zudem sind Strategien eine Form der Koordinierung mitgliedstaatlicher Politik, mit der außerhalb der im AEUV begründeten Bereiche „harter“ Steuerung Einfluss genommen werden kann.3 Das durch die genannte Strategie verfolgte Unionsmodell (vgl. etwa die Wirtschafts- und Währungsunion, die Zollunion, die Bankenunion, die Kapitalmarktunion und die Energieunion) ist typischerweise durch die Übertragung von nationalen Kompetenzen auf zentrale EU-Institutionen (Organe oder Agenturen der EU) oder die Schaffung von einheitlichen, gemeinsamen Richtlinien und Regelungen gekennzeichnet.
B. Maßgeblicher Inhalt der Strategie
Ziel der Schaffung der Spar- und Investitionsunion ist es, die Art und Weise zu verbessern, wie das Finanzsystem der EU vorhandene Ersparnisse der EU-Bürger in produktive Investitionen lenkt. Dabei spielen insbesondere das klimapolitische Ziel der Dekarbonisierung und die Entwicklung neuer Technologien eine zentrale Rolle. Auf einer größeren Ebene geht es aber auch allgemein um den Fortbestand der Verteidigungs- und Wettbewerbsfähigkeit der EU im globalen Kontext. Zentrale Basis ist dafür jedenfalls eine florierende Gesamtwirtschaft innerhalb der EU.
Spätestens seit dem Draghi-Bericht4 aus dem September 2024 existiert der ökonomische Ausgangsbefund, wonach es in der EU enorme Ersparnisse der EU-Bürger (ca. 10 Bio. Euro) bei gleichzeitig hohem Investitionsbedarf (750 bis 800 Mrd. Euro pro Jahr) gibt. Dieses private Kapital soll nun verstärkt mobilisiert werden5, indem bis zu 8 Bio. Euro aktiviert werden sollen, um einen jährlichen Investitionszufluss von ca. 350 Mrd. Euro zu generieren. Dies soll letztlich über die Geldanlage von EU-Bürgern am Kapitalmarkt gelingen.
Grundlage für eine dementsprechende Strukturreform des Finanzwesens in der EU soll aber auch sein, dass die Mitgliedstaaten Unterschiede in den gesetzlichen Grundlagen wie Wertpapier-, Gesellschafts- und Insolvenzrecht sowie dem entsprechenden Prozess- und Zwangsvollstreckungsrecht beseitigen, was in Teilen aber auch einer verstärkten Binnenmarktstrategie überlassen bleiben soll.
Zur Zielerreichung werden eine Reihe von Maßnahmen entlang von „vier Dimensionen“ skizziert, wobei im Anschluss dazu auch eher vage politische Absichtsbekundungen dargelegt werden (Entwicklung weiterer Strategien, Annahme von Maßnahmen aus bestehenden Strategien, Überprüfungen durch die Kommission und andere Organe/Agenturen der EU, Rechtsharmonisierung, Abbau von Überregulierung usw.). Die vier Dimensionen als Basis der politischen Maßnahmen lauten dabei wie folgt:
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Dimension I: Bürger und Sparvermögen
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Für Privatkunden/Kleinanleger sollen Anreize geschaffen werden, dass diese statt der Nutzung von klassischen Sparformen auch in Produkte des Kapitalmarkts mit höheren Renditechancen, aber auch höheren Verlustrisiken investieren. Dies betrifft auch und gerade Altersvorsorgeprodukte.
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Der Zugang von Privatkunden/Kleinanlegern zum Kapitalmarkt soll etwa durch verbesserte Transparenzvorschriften und Informationen in einfacher und leicht verständlicher Sprache erleichtert werden.
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Digitale Schnittstellen zwischen Spar- und Anlagekonten sollen auch in Mitgliedstaaten geschaffen werden, die dies bislang noch nicht ermöglicht haben.
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Die durchschnittliche Finanzkompetenz von Privatkunden/Kleinanlegern soll in der gesamten EU weiter verbessert werden.
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Die Mitgliedstaaten sollen für die Bereitstellung geeigneter Anlageprodukte samt Anreizen für ihren Erwerb im Rahmen der jeweils nationalen Besteuerung sorgen.
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Privatkunden/Kleinanlegern soll es ermöglicht werden, dass sie (auch gemeinsam mit dem Staat) in strategische Projekte investieren können.
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Dimension II: Investitionen und Finanzierung
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Institutionelle Anleger sollen dazu motiviert werden, stärker in alternative Investments (Wagniskapital, privates Beteiligungskapital, Infrastruktur) zu investieren.
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Regulatorische Hürden für Wagniskapital- und Wachstumsfonds in einzelnen Mitgliedstaaten sollen abgebaut werden.
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Der Zugang von institutionellen Anlegern zu alternativen Investments soll erleichtert werden. Dies betrifft insbesondere die aufsichtsrechtliche Bewertung dieser Investments (= Eigenkapitalrelevanz), aber auch eine rechtliche Straffung von Restrukturierungs- und Insolvenzverfahren.
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Ferner soll eine gestärkte Möglichkeit der Eigenkapitalfinanzierung durch größere Einbindung institutioneller Anleger gerade innovativen Start-ups und expandierenden jungen Unternehmen zugutekommen.
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Die EU soll einen Fonds für Wettbewerbsfähigkeit auflegen, der aus Mitteln des EU-Haushalts gespeist wird. Damit könnten für Unternehmen in der EU Garantien, Darlehen und sonstige Finanzierungsinstrumente ausgereicht werden. Mitgliedstaaten und die Begünstigten selbst könnten sich per Kofinanzierung beteiligen.
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Schon bestehende Förderprogramme der EIB und von nationalen Förderbanken sollen entsprechend auf die Ziele der Spar- und Investitionsunion miteinander harmonisiert werden.
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Neben dem Ausstieg von Investoren über ein Listing (vgl. den Listing Act der EU) soll auch der Ausstieg aus den Investments über Sekundärmärkte erleichtert werden.
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Die steuerliche Begünstigung von Fremd- gegenüber Eigenkapitalfinanzierungen in vielen Mitgliedstaaten soll etwa mit Freibetragslösungen reduziert werden.
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Unterschiede in nationalen Besteuerungsverfahren mit dadurch erhöhtem Verwaltungsaufwand sollen abgebaut werden, um grenzüberschreitende Investitionen zu stärken.
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Der Rechtsrahmen für Verbriefungen soll weiter gestärkt werden, um das Potenzial von Verbriefungen als Liquiditäts-, Kapitalmanagement- und Risikotransferinstrument nutzbar zu machen.
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Dimension III: Integration und Größe
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Die Fragmentierung des europäischen Kapitalmarkts anhand von Landesgrenzen soll überwunden werden, um den grenzüberschreitenden Handel von Finanzinstrumenten zu erleichtern. Dabei soll der EU-Rechtsrahmen vereinfacht und Überregulierung abgebaut werden.
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Die Finanzmarktinfrastruktur soll weiter technologisiert werden.
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Die bislang fragmentierte Vermögensverwaltungs- und Fondsstruktur soll im Wege von Rechtsharmonisierung Doppelbelastungen reduzieren und dadurch grenzüberschreitende Aktivitäten erleichtern.
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Dimension IV: Effiziente Aufsicht im Binnenmarkt
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Die Beaufsichtigung der Marktteilnehmer soll harmonisiert werden. Dies könnte wie im Rahmen des SSM durch eine einheitliche europäische Aufsichtsbehörde erfolgen, aber auch durch eine Angleichung der nationalen Aufsichtspraktiken. Denn bislang werden die bestehenden Regelungen uneinheitlich angewendet.
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Jedenfalls bei verstärkter grenzüberschreitender Tätigkeit von Marktteilnehmern sowie bei neuen Sektoren (z.B. Kryptowerte) spreche Vieles für eine europäische Beaufsichtigung.
Abschließend geht der Vorschlag noch auf den Bankensektor ein. Bezüglich der Banken müsse die internationale Wettbewerbsfähigkeit des EU-Bankensektors weiter gefördert werden, etwa indem der betreffende Verwaltungsaufwand abgebaut wird.
C. Stellungnahme und Auswirkungen für die Praxis
Die Aufregung über die Spar- und Investitionsunion ist derzeit in Teilen von Politik und Gesellschaft groß. Befürchtet wird etwa in Deutschland ein „direkter oder indirekter Zugriff auf die Sparguthaben deutscher Bürger“6. Die Bundesregierung wiegelt ab, denn „vielmehr sei es Ziel, Bürgern den Zugang zu transparenten und günstigen Kapitalanlagen zu ermöglichen und dabei auch die Möglichkeiten des Kapitalmarkts für sich zu nutzen, um die für sie individuell besten Spar- und Vorsorgeentscheidungen zu treffen“7. Letzteres dürfte stimmen, denn es ist ein Anreizsystem vorgesehen, Geld an Kapitalmärkten anzulegen. Entsprechende Zwänge sind nicht ersichtlich. Allerdings muss wohl ein System eingeführt werden, welches tatsächlich Rendite verspricht. Denn Befragungen der Verbraucher zu nachhaltigen Investments haben in den letzten Jahren gezeigt, dass die erzielbare Rendite bei der Geldanlage für die breite Mehrheit im Vordergrund steht.8 Der im Grundsatz zu begrüßende Gedanke, Investitionen in europäische Unternehmen anzuziehen9, wird daher nur gelingen, wenn sich die Investition jeweils rechnet, Bürger also eine größere Rendite (bei überschaubarem Risiko) am Kapitalmarkt erzielen können als sie bei ihrer Hausbank für tradierte Geldanlagen erhalten.
Die Idee einer Spar- und Investitionsunion ist letztlich nicht wirklich etwas Neues. Begriffe und Inhalte erinnern an die Kapitalmarktunion und greifen sehr viele ihrer Elemente auf.10 Teilweise wird die Idee einer Spar- und Investitionsunion daher auch folgerichtig als Vertiefung der Kapitalmarktunion eingeordnet.11 Letztlich wurde bereits erkannt, dass der Begriff der Spar- und Investitionsunion nur eine Umbenennung der Kapitalmarktunion ist, da diese bislang deshalb in ihrer Entwicklung stecken geblieben ist, da ihr dienender Charakter für eine gerechte, nachhaltige und digitale Wirtschaftsordnung weitestgehend nicht erkannt wurde.12
Ein regelrechter Paradigmenwechsel wäre es, wenn Zuständigkeiten der Kapitalmarktaufsicht (dies beträfe in Deutschland Teile der Wertpapieraufsicht der BaFin und die Börsenaufsicht der Länder) auf Sicht zu ESMA verlagert würden, was zumindest als ernsthafte Option anklingt. Denn damit dürfte der Weg geebnet werden, dass in weiteren Schritten auch die übrigen Teile der Wertpapieraufsicht (und die bislang noch nationalen Elemente der Banken- und Versicherungsaufsicht) auf ESMA, EBA und EIOPA verlagert würden. Die Sinnhaftigkeit dessen bleibt aus mehreren Gründen fraglich. Zum einen würden wohl Super-Agenturen entstehen, die auf die nationalen Besonderheiten keinerlei Rücksicht mehr nehmen. Eine derartige Unwucht ist jetzt schon im Rahmen des SSM bei der Beaufsichtigung von Landesbanken durch die EZB oder bei der Betrachtung des Drei-Säulen-Modells der deutschen Bankenlandschaft (Stichwort: Einlagensicherung) erkennbar. Zum anderen steht dann wohl eher mehr Bürokratie zu befürchten.
D. Ausblick
Insgesamt wird abzuwarten sein, ob dieses große Vorhaben gelingt. Der Blick auf die Kapitalmarktunion und die zahlreichen Maßnahmen, die auch auf Ebene des nationalen Rechts gefordert werden, spricht bislang eher gegen ein Gelingen.