Schutz von Rechtsanwälten vor Kanzleidurchsuchungen außerhalb von VerteidigungsverhältnissenOrientierungssätze zur Anmerkung 1. Der besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern (§ 53 StPO) gebietet bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfG v. 31.08.2010 - 2 BvR 223/10 - BVerfGK 17, 550, 556 m.w.N.; vgl. auch die Rspr. des EGMR zu Art. 8 EMRK RIS: MRK: etwa EGMR v. 04.02.2020 - 11264/04 „Kruglov u.a. ./. Russia“ § 125 m.w.N.). 2. Die Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei bringt regelmäßig die Gefahr mit sich, dass Daten von Nichtbeschuldigten, etwa den Mandanten eines Rechtsanwalts, zur Kenntnis der Ermittlungsbehörden gelangen, die die Betroffenen in der Sphäre des Berufsgeheimnisträgers gerade sicher wähnen durften. Dadurch werden die Grundrechte der Mandanten berührt. Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt darüber hinaus auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege. Diese Belange verlangen eine besondere Beachtung bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme (vgl. BVerfG v. 29.01.2015 - 2 BvR 497/12 Rn. 18). 3. Mit Blick auf die Streubreite der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei und die besondere Schutzbedürftigkeit der von einem überschießenden Datenzugriff mitbetroffenen Vertrauensverhältnisse bedarf der eingriffsintensive Zugriff auf Datenträger - insbesondere von Rechtsanwälten und Steuerberatern als Berufsgeheimnisträger - im jeweiligen Einzelfall in besonderer Weise einer regulierenden Beschränkung (vgl. BVerfG v. 12.04.2005 - 2 BvR 1027/02 - BVerfGE 113, 29, 53). 4. Das Erfordernis einer besonders sorgfältigen Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme gilt auch dann, wenn ein Rechtsanwalt selbst Beschuldigter in einem gegen ihn gerichteten Strafverfahren ist (vgl. BVerfG v. 05.05.2008 - 2 BvR 1801/06 Rn. 15; vgl. auch die Rspr. des EGMR zu Art. 8 EMRK und der besonderen Vertraulichkeitserwartung hinsichtlich Rechtsanwaltskorrespondenz: EGMR v. 16.11.2021 - 698/19 „Särgava ./. Estonia“ §§ 88 f. m.w.N.). 5. Es gibt bei Durchsuchungen von Rechtsanwaltskanzleien allerdings keine darüber hinausgehenden strengeren Anforderungen auch an die Subsidiarität der Maßnahme. Insbesondere fordert die Verfassung nicht, dass die Erforschung des Sachverhalts ansonsten aussichtslos erscheinen muss. - A.
Problemstellung Vertrauen ist das Fundament rechtsanwaltlicher Tätigkeit – das ist eine Binse, aber zugleich von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die anwaltliche Praxis. Zwangsmaßnahmen gegenüber Rechtsanwälten gefährden den im allgemeinen Interesse liegenden Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant. Die StPO trägt dem (in unzureichendem Umfang) explizit Rechnung, indem sie Berufsgeheimnisträger besonders schützt. In der Gerichtspraxis wird dieser Schutz jedoch regelmäßig nur äußerst zurückhaltend zur Anwendung gebracht. In seiner zwischenzeitlich berühmt gewordenen „Jones-Day“-Entscheidung hat das BVerfG eine sehr restriktive Anwendung der in der StPO normierten Schutzrechte, insbesondere aus den §§ 97, 160a StPO, bestätigt. Mit der hiesigen Entscheidung stellt das BVerfG klar, dass die Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant über die bloße Verteidigung eines Beschuldigten hinaus rechtlich geschützt ist. Das BVerfG schränkt dabei die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden in Bezug auf die Durchsuchung von Kanzleiräumlichkeiten in gewissem Umfang ein. Eine gelungene Fortentwicklung der Rechtsprechungslinie lässt die Entscheidung jedoch vermissen, da insbesondere kein positiv-subsumtionsfähiger Maßstab für die Rechtmäßigkeit von Durchsuchungen bei Rechtsanwälten aufgestellt wird. Hier besteht gesetzgeberischer Handlungsbedarf, der sich mit Blick auf die mögliche Ratifikation eines neuen Europarats-Übereinkommens in absehbarer Zeit konkret stellen dürfte.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Mit seiner Verfassungsbeschwerde wehrte sich der beschwerdeführende Rechtsanwalt gegen die ermittlungsrichterliche Anordnung der Durchsuchung seiner Kanzelräumlichkeiten sowie gegen die seine Beschwerde verwerfende Entscheidung des Landgerichts. Der Anordnung lag ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gegen den Rechtsanwalt wegen versuchten (Prozess-)Betruges zulasten einer Mandantin zugrunde. Hintergrund des Vorwurfs des Prozessbetrugs war die Geltendmachung von Gebührenansprüchen seitens des beschwerdeführenden Rechtsanwalts gegen die Mandantin. Die Mandantin war der Auffassung, dass dem beschwerdeführenden Rechtsanwalt keine Gebühren zustanden, da die Mandantin diesen lediglich zur Wahrnehmung eines Gerichtstermins beauftragt hatte und sie im Übrigen im Rahmen des Rechtsstreits überwiegend von einem ebenfalls beschuldigten anderen Rechtsanwalt vertreten worden war. In der Folge stritten der beschwerdeführende Rechtsanwalt und die Mandantin darüber, ob sich aus dieser Beauftragung Gebührenansprüche ergaben oder ob diese bereits über eine Vereinbarung mit dem mitbeschuldigten Rechtsanwalt abgegolten waren. Anlässlich dieses Streits erstattete die Mandantin sodann Strafanzeige gegen den beschwerdeführenden Rechtsanwalt. Nachdem die Staatsanwaltschaft das Verfahren zunächst eingestellt hatte, legte die Mandantin im Beschwerdeverfahren nach § 172 StPO eine E-Mail einer ehemaligen Büromitarbeiterin ihres bisherigen Prozessbevollmächtigten vor. Darin schilderte diese Mitarbeiterin ein mitgehörtes Telefonat zwischen dem beschwerdeführenden Rechtsanwalt und dem primären Prozessbevollmächtigten, in dem es um die geplante unberechtigte Geltendmachung des Gebührenanspruchs ging. Daraufhin nahm die Staatsanwaltschaft das Verfahren wieder auf. Zudem belastete die Mitarbeiterin den beschwerdeführenden Rechtsanwalt in einer polizeilichen Vernehmung, schilderte dort jedoch einen anderen Geschehensablauf als in ihrer E-Mail an die Mandantin. Einige Monate später ordnete ein Ermittlungsrichter die Durchsuchung der Kanzleiräumlichkeiten des beschwerdeführenden Rechtsanwalts an. Dies begründete das Gericht damit, dass der Rechtsanwalt insbesondere aufgrund der Angaben der Mitarbeiterin der Begehung eines versuchten Betruges verdächtig sei. Zudem bestehe eine Auffindevermutung für beweiserhebliche Unterlagen. Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit der Maßnahme stellte das Gericht nicht an. Bei der daraufhin erfolgten Durchsuchung wurde der Computer des Rechtsanwalts sichergestellt. Das Landgericht verwarf seine Beschwerde gegen den Durchsuchungsbeschluss mit der Begründung, ein Anfangsverdacht sowie eine hinreichende Auffindevermutung hätten bestanden. Zudem sei der Beschluss unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch verhältnismäßig gewesen. Im Folgenden legte der Rechtsanwalt Verfassungsbeschwerde ein und machte die Unverletzlichkeit seiner Wohnung aus Art. 13 Abs. 1 GG und seinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG geltend. Während bereits der Tatverdacht nicht auf die widersprüchlichen Aussagen der Mitarbeiterin habe gestützt werden können, habe auch keine Auffindewahrscheinlichkeit für Beweismittel bestanden; er habe bereits einen Monat vor dem Erlass der Durchsuchungsanordnung von der Wiederaufnahme der Ermittlungen Kenntnis erlangt und dies gegenüber der Staatsanwaltschaft in einem Akteneinsichtsantrag offengelegt. Insbesondere aber hätten die Gerichte sich nicht hinreichend mit den besonderen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit von Durchsuchungen bei Berufsgeheimnisträgern auseinandergesetzt. Das BVerfG trifft mit seinem Beschluss keine Entscheidung in der Sache. Es lehnt die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Sachentscheidung mit der Begründung ab, der Rechtsweg sei nicht erschöpft, da dem Rechtsanwalt die nicht offensichtlich aussichtslose Gehörsrüge gemäß § 33a StPO zur Verfügung gestanden, er aber nicht vorgetragen habe, diese Gehörsrüge erhoben zu haben (Rn. 13 bis 15). Gleichwohl stellt das BVerfG in einem obiter dictum ausführliche Erwägungen zur Verfassungsmäßigkeit der Durchsuchungsanordnung und der Beschwerdeentscheidung an. Es verdeutlicht, dass die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen in der Sache den Anforderungen, die aus dem besonderen Schutz von Berufsgeheimnisträgern erwachsen, insbesondere an die Prüfung der Tatbestandsvoraussetzungen der Ermittlungsmaßnahme sowie ihrer Angemessenheit, nicht genügten. Der sich aus § 53 StPO ergebende besondere Schutz von Berufsgeheimnisträgern gebiete „bei der Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die besonders sorgfältige Prüfung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ (Rn. 18). Zur Begründung verweist das Gericht auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) als Auslegungshilfe für die hier durch den Rechtsanwalt ins Feld geführten Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze. Darauf aufbauend stellt das BVerfG fest, dass die Angemessenheit von Zwangsmaßnahmen, die sich gegen einen Rechtsanwalt als Berufsgeheimnisträger in der räumlichen Sphäre seiner Berufsausübung richten, strengen Anforderungen unterliegt (Rn. 19, 21). Dies gelte auch dann, wenn der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter in dem der Maßnahme zugrunde liegenden Strafverfahrens ist (Rn. 19). Einen expliziten abstrakten Maßstab für die Angemessenheit von Maßnahmen gegen Rechtsanwälte oder konkrete, von den Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zu beachtende Mindestanforderungen definiert das BVerfG im Weiteren nicht. Mit Blick auf die angegriffenen Entscheidungen stellt es jedoch fest, dass sie den „strengen Anforderungen der Verhältnismäßigkeit bei der Durchsuchung bei Rechtsanwälten“ nicht gerecht werden (Rn. 21). Die Schwere des Tatvorwurfs sei in Anbetracht der Höchststrafe von drei Jahren und neun Monaten für den vorgeworfenen versuchten Betrug zum einen abstrakt eher geringfügig (Rn. 22 ff.). Zum anderen sei im Einzelfall keine hohe Strafe zu erwarten gewesen (Rn. 25). Weiter sei der Tatverdacht gegen den Rechtsanwalt „zumindest schwach“ gewesen (Rn. 26). Denn zusätzlich zu den aktenkundigen Widersprüchen zwischen den verschiedenen Aussagen der Zeugin ziehe die Motivlage der Zeugin und der Mandantin die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen in Zweifel; es sei naheliegend, dass Gegner eines laufenden Zivilprozesses bei strafrechtlichen Zeugenaussagen erhebliche Belastungstendenzen aufwiesen (Rn. 26). Auch habe vor dem Hintergrund, dass der Rechtsanwalt Kenntnis von der Wiederaufnahme des Ermittlungsverfahrens hatte, nur eine geringe Auffindewahrscheinlichkeit bestanden (Rn. 28). Darüber hinaus erscheine die Durchsuchung wegen der besonderen Eingriffsintensität unangemessen. Denn bei der Durchsuchung von Anwaltskanzleien sei damit zu rechnen, dass eine Vielzahl verfahrensunabhängiger Mandantendaten von der Durchsuchung betroffen seien (Rn. 31). Diese Daten seien besonders schutzbedürftig, da die Mandanten infolge der Stellung des Rechtsanwalts als Berufsgeheimnisträger auf die Sicherheit und Vertraulichkeit der Daten vertrauen dürften (Rn. 19, 31). Die daher erforderliche Beschränkung des Zugriffs auf die Datenträger von Rechtsanwälten – etwa auf Mandatsunterlagen, die den konkreten Vorwurf betreffen – sei nicht erfolgt (Rn. 32). Beziehe sich eine Durchsuchungsanordnung ohne Abwendungsbefugnis auf sämtliche dem Rechtsanwalt vorliegenden Unterlagen (wie im vorliegenden Fall), sei die Sichtung der Unterlagen unbeteiligter Mandanten sicher zu erwarten und das Interesse der Allgemeinheit am Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant insgesamt betroffen (Rn. 32). Zuletzt verlange die strenge Angemessenheitsprüfung, auch alternative mildere Ermittlungsansätze in die Abwägung einzubeziehen (Rn. 33). Während das Gericht klarstellt, dass die Verfassung nicht fordere, dass die Erforschung des Sachverhalts ohne die Durchsuchung bei einem Rechtsanwalt gänzlich aussichtlos erscheinen muss (Rn. 20), rügt es, dass die Beiziehung der Akte des Zivilverfahrens nicht erwogen worden sei (Rn. 33).
- C.
Kontext der Entscheidung Das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Anwalts-Mandanten-Verhältnisses einerseits und dem staatlichen Aufklärungsinteresse andererseits beschäftigt das BVerfG schon lange. Mit dieser Entscheidung ist keine letztgültige Klarheit geschaffen. Das Gericht stärkt jedoch in erfreulicher Weise den verfassungsrechtlich gebotenen Schutz anwaltlicher Berufsausübung. Das BVerfG begibt sich mit seiner Entscheidung in das – in dieser Hinsicht erstaunlich klare – Fahrwasser der Rechtsprechung des EGMR. In den beiden durch das BVerfG zitierten Entscheidungen betonte der EGMR, dass repressive Maßnahmen gegen Rechtsanwälte „den Kern des Konventionssystems“ betreffen (EGMR, Urt. v. 09.04.2009 - 19856/04 Rn. 31 - NJW 2010, 2109 „Kolesnichenko v. Russia“; EGMR, Urt. v. 04.02.2020 - 11264/04 Rn. 125 - NJW 2021, 1077 „Kruglov and others v. Russia“). In den durch den EGMR zu entscheidenden Fällen sah dieser in Durchsuchungen der Büro- und Wohnräumlichkeiten von Rechtsanwälten eine Einschränkung des Rechts auf Achtung der Wohnung aus Art. 8 Abs. 1 EMRK. Von dessen Schutzbereich sind auch Geschäftsräume erfasst (EGMR, Urt. v. 09.04.2009 - 19856/04 Rn. 29 - NJW 2010, 2109 „Kolesnichenko v. Russia“). Zu deren Rechtfertigung ist nach Art. 8 Abs. 2 EMRK neben dem Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage erforderlich, dass derartige Durchsuchungen „in einer demokratischen Gesellschaft notwendig [sind] für die nationale oder öffentliche Sicherheit, für das wirtschaftliche Wohl des Landes, zur Aufrechterhaltung der Ordnung, zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer“. Konkret mahnt der EGRM für Durchsuchungen von Räumlichkeiten eines Rechtsanwalts an, dass die nationale Rechtsgrundlage für die Durchsuchung wirksame Vorkehrungen gegen Missbrauch oder Willkür beinhalten müsse. Insbesondere müsse die Durchsuchung von der Anordnung oder Überprüfung durch einen Richter, der Prüfung eines „hinreichenden“, bzw. „begründeten“ Tatverdachtes sowie der Angemessenheit in Bezug auf den Umfang und die Schwere des Tatvorwurfs abhängig sein (EGMR, Urt. v. 09.04.2009 - 19856/04 Rn. 31 - NJW 2010, 2109 „Kolesnichenko v. Russia“; EGMR, Urt. v. 04.02.2020 - 11264/04 Rn. 125 - NJW 2021, 1077 „Kruglov and others v. Russia“). Dass das BVerfG diese Linie explizit referenziert, lässt auf eine insoweit erhöhte Sensibilität schließen, die ausdrücklich zu begrüßen ist. Die hiesige Entscheidung bestätigt überdies, dass die in der Vergangenheit durch das BVerfG aufgestellten (überaus weiten) Leitplanken für die Durchsuchung von Kanzleiräumlichkeiten auch nach der – kürzlich auch hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit der EMRK durch den EGMR bestätigten (EGMR, Urt. v. 22.10.2024 - 1022/19, 1125/19 „Kock and others v. Germany und Jones Day v. Germany“) – „Jones-Day“-Entscheidung weiterhin gelten. Das Gericht geht aber darüber hinaus und nimmt die Ermittlungsbehörden noch strenger in die Pflicht. Bereits vor der „Jones-Day“-Entscheidung hatte das BVerfG 2015 in einer Entscheidung den im hiesigen Nichtannahmebeschluss angewandten Maßstab für die Verfassungsmäßigkeit der Durchsuchung von Rechtsanwaltskanzleien aufgestellt. Das Gericht definierte als Voraussetzungen für die Anordnung der Durchsuchung einer Rechtsanwaltskanzlei die Erheblichkeit der zu ermittelnden Straftat, das Ausmaß des Tatverdachtes, die Auffindevermutung sowie eine im Übrigen strenge Angemessenheitsprüfung. Es stützte diese Erfordernisse auf den besonderen Schutz von Berufsgeheimnisträgern, wie er in § 53 StPO seinen Niederschlag findet (BVerfG, Beschl. v. 29.01.2015 - 2 BvR 497/12, 2 BvR 498/12, 2 BvR 499/12, 2 BvR 1054/12 Rn. 18 f.). Auch in dem vorliegenden Fall führt das BVerfG ausdrücklich aus, dass Durchsuchungsmaßnahmen bei Rechtsanwälten sehr restriktiv zu erfolgen haben, da diese potenziell auch Daten zu anderen Mandatsverhältnissen des Rechtsanwalts betreffen, die besonderem Schutz unterliegen (Rn. 19). Das BVerfG stellt damit klar, dass jegliche Beziehung zwischen Rechtsanwalt und Mandant besonderen Schutz genießt und dieser bei der Prüfung der Angemessenheit der Zwangsmaßnahme besonders zu beachten ist, selbst wenn der Rechtsanwalt selbst Beschuldigter ist (Rn. 19). Anders als in der „Jones-Day“-Rechtsprechung kam es hier nicht auf die Auslegung und das Verhältnis der §§ 160a Abs. 1, 97 Abs. 1 StPO an, da beide Normen bei einer Durchsuchung bei einem beschuldigten Rechtsanwalt nicht gelten (BVerfGE, Urt. v. 27.02.2007 - 1 BvR 538/06 u.a. - NJW 2007, 1117, 1119 m.w.N.; Kölbel/Ibold in: MünchKomm StPO, 2. Aufl. 2024, § 160a Rn. 25 m.w.N.). Ungeachtet dessen stellte das BVerfG vorliegend implizit klar, dass nicht nur ein Mandatsverhältnis zwischen einem Rechtsanwalt als Verteidiger und einer in einem konkreten Strafverfahren beschuldigten Person besonderem Schutz unterliegt (so BVerfG, Beschl. v. 27.06.2018 - 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 Rn. 79), sondern jede Mandatsbeziehung zu schützen ist. Auch wenn es in der „Jones-Day“-Rechtsprechung bereits an einer solchen Mandatsbeziehung fehlte (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.06.2018 - 2 BvR 1405/17, 2 BvR 1780/17 Rn. 102), hatte die Rechtsprechung zur Folge, dass Rechtsanwälte, die nicht im engeren Sinne als Verteidiger eines Beschuldigten auftreten, vor Durchsuchungen ihrer Kanzleiräumlichkeiten weder durch § 160a StPO noch durch § 97 Abs. 1 StPO geschützt waren. Das BVerfG verlangt in der hier besprochenen Entscheidung hingegen, dass bei der Prüfung der tatbestandlichen Voraussetzungen sowie der Angemessenheit der Durchsuchung von Kanzleiräumlichkeiten die Eigenschaft jedes Rechtsanwalts als Berufsgeheimnisträger besonders zu berücksichtigen ist. Insoweit ist die hiesige Entscheidung des BVerfG zu begrüßen. Sie trägt dem weiten Schutzanspruch Rechnung, der der Anwaltschaft nach deutschem Verfassungsrecht und europäischen Rechtsakten zugebilligt wird. Die gegenwärtig bestehende normative Beschränkung des Beschlagnahme- und (damit zugleich) Durchsuchungsschutzes auf Verteidigungsverhältnisse nach § 97 Abs. 1 Nr. 3 StPO trägt dem nicht ausreichend Rechnung – der Gesetzgeber ist aufgerufen, hier tätig zu werden. Es ist nicht nur wünschenswert, sondern eine verfassungsrechtlich determinierte Notwendigkeit, einen verlässlichen Rechtsrahmen zu schaffen, der der Vielgestaltigkeit anwaltlicher Mandatsbeziehungen gerecht wird. Sowohl interne Untersuchungen als auch die Vertretung und Verteidigung von Mandanten vor einer formalisierten Beschuldigtenstellung zählen zur täglichen anwaltlichen Rechtspraxis und gehören infolgedessen ebenso geschützt. Insofern überzeugt auch der Rekurs des BVerfG auf § 53 StPO, der einen umfassenden Schutz im Allgemeinen statuiert und damit sowohl Ausgangspunkt als auch Maßstab für die Bestimmung des Schutzniveaus darstellt. Nicht zuletzt zur sachgerechten Aufklärung von Compliance-Verstößen haben Unternehmen ein besonderes Bedürfnis nach einer vertraulichen Rechtsberatung, ohne Strafbarkeitsrisiken befürchten zu müssen, wenn sie ihren Compliance-Pflichten genügen und strafbare Handlungen im Unternehmen gerade für die Zukunft unterbinden wollen (vgl. auch Lilie-Hutz/Ihwas, NZWiSt 2018, 349).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Aus der Entscheidung folgt, dass strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen in Kanzleiräumlichkeiten einer besonders sorgfältigen Prüfung zu unterziehen sind. Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sind gut beraten, bei der Anordnung derartiger Maßnahmen den restriktiven Rahmen mit der verfassungsrechtlich gebotenen Gründlichkeit zu beachten. Auch wenn gesetzlich normierte Kriterien zur Prüfung der Angemessenheit bislang bedauerlicherweise fehlen, lassen sich der Entscheidung doch maßgebliche Parameter entnehmen: Insbesondere die Schwere des Tatvorwurfs, die im Einzelfall zu erwartende Sanktion, der Grad des Tatverdachts sowie die Auffindewahrscheinlichkeit von Beweismitteln sind in die Abwägung zur Bestimmung der Angemessenheit einzustellen. Der vorstehend artikulierte Appell an den Gesetzgeber dürfte alsbald auch völkerrechtlich flankiert werden: Mit dem am 12.03.2025 verabschiedeten Übereinkommen zum Schutz des Anwaltsberufs hat der Europarat durch seinen Expertenausschuss „CJ-AV“ Anlauf genommen, um einen einheitlichen Schutzmaßstab zu setzen. Das Übereinkommen soll die Vertragsstaaten u.a. dazu verpflichten, sicherzustellen, dass Rechtsanwälte grundsätzlich nicht zur Offenlegung oder Herausgabe mandatsbezogener Informationen verpflichtet werden dürfen. Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn solche gesetzlich vorgesehene Ausnahmen dies gestatten, die – so der Text des Übereinkommens in Übereinstimmung mit der auch in der EMRK normierten Einschränkung – in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind (Art. 6 Abs. 3c, Abs. 4 des Übereinkommens). Die das Übereinkommen begleitenden Erläuterungen betonen, dass Einschränkungen nur ausnahmsweise zulässig sind, etwa bei begründetem Verdacht auf strafbares Verhalten des Rechtsanwalts selbst. Außerdem soll grundsätzlich die Anwesenheit eines unabhängigen Rechtsanwalts oder Berufsverbandvertreters bei Kanzleidurchsuchungen sichergestellt sein (Art. 8 Abs. 1c des Übereinkommens). Während 18 Mitgliedstaaten des Europarats das Übereinkommen bislang gezeichnet haben, steht die durch die Bundesregierung avisierte Zeichnung gegenwärtig noch aus. Zur Umsetzung dieses Übereinkommens müssen die Möglichkeiten der deutschen Behörden – nicht nur im Rahmen der Strafverfolgung – zur Durchsuchung von Kanzleiräumlichkeiten und zur Beschlagnahme von Mandantenunterlagen und sonstiger anwaltlicher Arbeitsdokumente de lege ferenda weiter als bisher eingeschränkt werden: Eine nur vermeintlich grundlegende Unterscheidung zwischen Rechtsanwälten eines Beschuldigten einerseits und Rechtsanwälten andererseits, die anderweitig – etwa zur Durchführung einer internen Untersuchung – mandatiert sind, sieht das Übereinkommen nicht vor. Im Übrigen erkennt das BVerfG durch die Inbezugnahme der Rechtsprechung des EGMR zwar dem Grunde nach das einschränkende Kriterium der „Notwendigkeit in einer demokratischen Gesellschaft“ an, die auch das Übereinkommen für die Beschlagnahme von Mandantenunterlagen fordert. Der durch das BVerfG bislang gewährleistete Schutz greift jedoch insoweit zu kurz, als dass er dogmatisch an den Schutz der räumlichen Sphäre des Rechtsanwaltes (Art. 13 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK) anknüpft. Das Übereinkommen will den Schutz vor Beschlagnahmen von Mandantenunterlagen richtigerweise aber direkt aus dem anwaltlichen Vertrauensverhältnis unabhängig vom Schutz der Kanzleiräumlichkeiten gewährleisten. Offensichtlicher Handlungsbedarf ergibt sich für den Fall der Ratifikation des Übereinkommens für den Bundesgesetzgeber zudem in Bezug auf die durch das Übereinkommen aufgestellten konkreten Anforderungen an Durchsuchungen bei Rechtsanwälten und die Beschlagnahme ihrer Arbeitsdokumente. Die Erforderlichkeit der Anwesenheit eines unabhängigen Rechtsanwaltes oder des Vertreters eines anwaltlichen Berufsverbandes bei Durchsuchungen oder Beschlagnahmen ist bisher weder in der StPO noch in der Rechtsprechung vorgesehen.
|