Die gerichtliche Entscheidung, welche elterliche Auffassung dem Kindeswohl am besten entspricht, hat das Gericht auf Grundlage nachvollziehbarer Erwägungen zu treffen.
- A.
Problemstellung
Das Verfahren betraf unter anderem die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts eines Jugendlichen auf den Vater. Es ging um die Abwägung zwischen dem Kindeswohl, der räumlichen Kontinuität und möglichen Belastungen durch Haushaltswechsel während eines laufenden Hauptsacheverfahrens.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Mutter legte Beschwerde gegen eine einstweilige Entscheidung des AG Lübben ein, die das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Schulwahl und den Krankenversicherungsschutz für ihren Sohn vorläufig auf den Vater übertrug. Ursprünglich wurde der Jugendliche nach der Trennung der Eltern mit gemeinsamer elterlicher Sorge in einem Wechselmodell betreut. Dann entschied er sich jedoch im Juni 2024 dauerhaft beim Vater zu leben. Der Vater plante einen Umzug nach Bernau, wo der Sohn die Schule wechseln und privatversichert werden sollte. Die Mutter argumentierte, dass diese Änderungen die räumliche Kontinuität des Kindes stören und das Bedürfnis für die einstweilige Anordnung nicht gegeben sei. Sie verwies auf eine frühere Vereinbarung, strittige Fragen im Rahmen von Elterngesprächen zu klären. Dennoch entschied das Amtsgericht zugunsten des Vaters, basierend auf dem ausdrücklichen Wunsch des Sohnes und der Einschätzung der Verfahrensbeiständin sowie des Jugendamts, dass der Lebensmittelpunkt beim Vater dem Kindeswohl besser entspreche.
Das OLG Brandenburg hat die Beschwerde der Mutter zurückgewiesen und die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt, die dem Vater das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht sowie die Entscheidungsbefugnisse zur Schulwahl und zur Krankenversicherung des Kindes übertrug.
Ein mehrfacher Wechsel des Lebensmittelpunkts während des Verfahrens gefährde das Kindeswohl erheblich. Vorrangig sei für den Sohn eine stabile Lebenssituation zu sichern, die seinem ausdrücklichen Wunsch, im Haushalt des Vaters zu bleiben, entspreche. Eine Rückübertragung der Entscheidungsbefugnisse an beide Elternteile könnte den Elternkonflikt verschärfen und zu weiteren belastenden Streitigkeiten führen.
Außerdem sei eine endgültige Entscheidung im anhängigen Hauptsacheverfahren abzuwarten. Zwischenzeitlich sei es jedoch im Interesse des Kindes, die aktuelle Regelung beizubehalten.
Auch die bereits vollzogene private Krankenversicherung des Kindes sah das Gericht nicht als nachteilig an, so dass eine Rückabwicklung nicht geboten sei.
- C.
Kontext der Entscheidung
Die Entscheidung OLG Brandenburg fügt sich in die bisherige familienrechtliche Rechtsprechung ein, die sich mit der Frage der einstweiligen Regelung von Sorgerechtsangelegenheiten befasst. Der Grundsatz des Kindeswohls nach § 1697a BGB steht dabei im Mittelpunkt und dient als Leitlinie für die Abwägung konkurrierender Elternrechte.
Diese Entscheidung bestätigt und konkretisiert mehrere Grundsätze, die in der bisherigen Rechtsprechung bereits entwickelt wurden. Das Gericht hat insoweit klargestellt, dass das Kindeswohl durch eine Stabilisierung der Lebensverhältnisse und die Vermeidung mehrfacher Wohnort- und Schulwechsel besonders geschützt werden muss. Bereits in früheren Entscheidungen des OLG Brandenburg wurde betont, dass vorläufige Maßnahmen nur getroffen werden dürfen, wenn diese geeignet sind, das Kind vor weiteren Konflikten zu bewahren (OLG Brandenburg, Beschl. v. 20.03.2020 - 13 UF 37/20).
Die Entscheidung zeigt, dass einstweilige Maßnahmen nur dann ergriffen werden sollen, wenn ein dringendes Bedürfnis besteht und eine Rückabwicklung der Maßnahmen mit erheblichen Nachteilen für das Kind verbunden wäre. Ein weiterer wichtiger Aspekt der Entscheidung ist die Betonung der Bedeutung des Kindeswillens, insbesondere bei Jugendlichen. Die hiesige Entscheidung steht im Einklang mit der bisherigen familienrechtlichen Rechtsprechung, die auf den Schutz des Kindeswohls und die Vermeidung von belastenden Konflikten abzielt. Sie betont die Bedeutung der Stabilität der Lebensumstände und die Beachtung des Kindeswillens als zentrale Kriterien für die gerichtliche Entscheidungsfindung. Gleichzeitig zeigt sie, dass einstweilige Anordnungen nicht nur eine kurzfristige Lösung bieten, sondern auch die Grundlage für eine kindgerechte Hauptsacheentscheidung legen können.
- D.
Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil betont, dass bei familiengerichtlichen Entscheidungen der Wille des Kindes und die Vermeidung unnötiger Wechsel von Lebensmittelpunkten oberste Priorität haben. Es zeigt, dass die Folgenabwägung zwischen möglichen Nachteilen durch vorläufige Maßnahmen und einer endgültigen Hauptsacheentscheidung besonders sorgfältig erfolgen muss.
Das Wohl des Kindes steht also immer im Vordergrund und erfordert eine intensive Prüfung der Lebensumstände. Vorläufige Entscheidungen, etwa zu Umzügen oder Schulwechseln, können eine direkte Auswirkung auf die weitere Entwicklung des Verfahrens haben und sollten daher gut begründet und mit Bedacht getroffen werden. Für die Praxis bedeutet das, dass bei ähnlichen Verfahren besonders auf die Stabilität und das Wohl des Kindes geachtet werden muss, um mögliche schädliche Auswirkungen von Veränderungen zu vermeiden.