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Anmerkung zu:OLG Frankfurt 1. Senat für Familiensachen, Beschluss vom 17.03.2025 - 1 UF 52/25
Autor:Dr. Michael Giers, Direktor AG a.D.
Erscheinungsdatum:22.07.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 156 FamFG, § 28 FamFG, § 160 FamFG, § 155 FamFG, § 57 FamFG, § 54 FamFG, § 6 FamFG
Fundstelle:jurisPR-FamR 15/2025 Anm. 1
Herausgeber:Andrea Volpp, RA'in und FA'in für Familienrecht
Franz Linnartz, RA und FA für Erbrecht und Steuerrecht
Zitiervorschlag:Giers, jurisPR-FamR 15/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Unterscheidung zwischen persönlicher Anhörung und mündlicher Erörterung



Leitsätze

1. Das FamFG unterscheidet ausdrücklich zwischen der persönlichen Anhörung der Beteiligten und der mündlichen Erörterung.
2. Dass die Beteiligten persönlich angehört worden sind, lässt nicht zwingend auf eine durchgeführte mündliche Erörterung schließen.
3. Die mündliche Erörterung i.S.v. § 57 Satz 2 FamFG muss bestimmte Merkmale aufweisen, so dass den Beteiligten etwa die Gelegenheit eröffnet werden muss, dem Gericht ihre Positionen mündlich zu vermitteln und sich - nach Gestattung durch das Gericht im Rahmen seiner sitzungsleitenden Aufgabe - unmittelbar mit dem Vorbringen der anderen Beteiligten auseinanderzusetzen. Überdies kann und muss das Gericht im Rahmen der Erörterung ggf. rechtliche Hinweise erteilen, zu welchen den Beteiligten in der Regel unmittelbar Gelegenheit zur Stellungnahme zu eröffnen ist. Auch dient die mündliche Erörterung dazu, mit Blick auf § 156 FamFG ggf. die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung zu prüfen.



A.
Problemstellung
Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit eine mündliche Erörterung im Verfahren der einstweiligen Anordnung i.S.v. § 57 Satz 2 FamFG vorliegt?


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die beteiligten Eltern sind verheiratet. Aus der Ehe sind zwei in den Jahren 2011 und 2015 geborene Kinder hervorgegangen, die bei der Mutter in Frankfurt a.M. leben. Der in Köln wohnende Vater nimmt sein Umgangsrecht wahr. Nachdem das im Jahr 2015 geborene Kind im Anschluss an einen zweiwöchigen Aufenthalt beim Vater nicht zur Mutter zurückkehren wollte, beantragte dieser, ihm im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht für dieses Kind zu übertragen. Die Mutter beantragte, ihr – ebenfalls im Wege der einstweiligen Anordnung – das Aufenthaltsbestimmungsrecht und das Erziehungsrecht für beide Kinder zu übertragen.
Das Familiengericht hörte zunächst die Kinder und am Folgetag die Eltern an. Eine Erörterung erfolgte anlässlich der Anhörung der Eltern nicht. Sodann hat das Familiengericht der Kindesmutter die Bestandteile der elterlichen Sorge Aufenthaltsbestimmungsrecht und Regelung schulischer Angelegenheiten für das 2015 geborene Kid vorläufig entzogen und auf den Vater zur alleinigen Ausübung übertragen sowie den Antrag der Mutter zurückgewiesen. Dagegen richtete sich die Beschwerde der Mutter.
Das OLG Frankfurt hat die Beschwerde als unzulässig verworfen.
Eine Entscheidung über die elterliche Sorge für ein Kind, die im Wege der einstweiligen Anordnung ergangen sei, sei gemäß § 57 Satz 2 Nr. 1 FamFG nur anfechtbar, wenn sie das Gericht des ersten Rechtszugs aufgrund mündlicher Erörterung erlassen habe. Sowohl nach dem Vermerk gemäß § 28 Abs. 4 FamFG zu den Anhörungen als auch den Beschlussgründen zufolge habe jedoch keine Erörterung der Sache stattgefunden. Aus dem Vermerk folge ausdrücklich, dass die Beteiligten lediglich angehört wurden. Zu beachten sei, dass das FamFG ausdrücklich zwischen der Anhörung der Beteiligten, z.B. der Anhörung der Eltern gemäß § 160 FamFG und der mündlichen Erörterung bzw. mündlichen Verhandlung, die in den §§ 54 Abs. 2, 57 Satz 2 und 155 Abs. 2 FamFG geregelt sei, unterscheide. Die mündliche Erörterung dürfe daher nicht mit der Anhörung einzelner Beteiligter verwechselt werden (so ausdrücklich Giers in: Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 57 Rn. 6).
Die mündliche Erörterung müsse bestimmte Qualitätsmerkmale aufweisen. Die Beteiligten müssen Gelegenheit erhalten, dem Gericht ihre Positionen mündlich zu vermitteln und sich unmittelbar mit dem Vorbringen der anderen Beteiligten auseinanderzusetzen. Das Gericht habe dabei die Aufgabe, ggf. rechtliche Hinweise zu erteilen, zu welchen die Beteiligten wiederum Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten müssen. Darüber hinaus habe die mündliche Erörterung den Zweck, mit allen Beteiligten die Möglichkeiten einer gütlichen Einigung zu besprechen. All das sei ausweislich des Vermerks über die Anhörung der Eltern nicht erfolgt, weil im Hinblick auf das Befangenheitsgesuch der Mutter nicht mehr in die mündliche Erörterung eingetreten worden sei.


C.
Kontext der Entscheidung
Das OLG Frankfurt legt anschaulich dar, welche inhaltlichen Anforderungen an eine mündliche Erörterung i.S.v. § 57 Satz 2 FamFG zu stellen sind. Um den Beteiligten die danach erforderliche Möglichkeit zu geben, sich mit den Hinweisen des Gerichts und dem Vorbringen der anderen Beteiligten auseinanderzusetzen, müssen darüber hinaus einige formelle Voraussetzungen erfüllt sein. Es muss ein Termin anberaumt und alle Verfahrensbeteiligten müssen geladen werden (OLG Braunschweig, Beschl. v. 23.03.2020 - 2 UF 32/20). Eine Antragsschrift muss dem Antragsgegner rechtzeitig und ordnungsgemäß bekanntgegeben werden (OLG Köln, Beschl. v. 03.09.2021 - II-10 UF 99/21). Es kommt allerdings nicht darauf an, ob ein geladener Beteiligter tatsächlich erschienen ist. Er muss lediglich die Möglichkeit zur Teilnahme am oder Vertretung im Termin und zur Verwirklichung seines Anspruches auf rechtliches Gehör gehabt haben (OLG Frankfurt, Beschl. v. 28.02.2013 - 5 UF 55/13). Sofern er z.B. aus krankheitsbedingten Gründen eine Verlegung des Termins zur mündlichen Erörterung beantragt und das Gericht den Termin, ohne dass es sich mit dem Terminsverlegungsantrag hinreichend auseinandersetzt, gleichwohl durchführt, liegt jedoch keine mündliche Erörterung i.S.v. § 57 Satz 2 FamFG vor (KG, Beschl. v. 03.02.2020 - 19 UF 3/20).


D.
Auswirkungen für die Praxis
Im Verfahren der einstweiligen Anordnung in Familiensachen muss genau geprüft werden, welcher Rechtsbehelf eingelegt werden kann. Die Beschwerde ist – abgesehen vom Fall der Unterbringung Minderjähriger – nur statthaft, wenn das Verfahren einen der in § 57 Satz 2 FamFG aufgeführten Gegenstände betrifft, z.B. wie hier die elterliche Sorge, und darüber hinaus eine mündliche Erörterung stattgefunden hat. In diesem Fall hätte statt der Beschwerde ein Antrag auf Neuentscheidung nach mündlicher Erörterung gemäß § 54 Abs. 2 FamFG gestellt werden müssen.


E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung
Auf den ersten Blick erscheint es nicht nachvollziehbar, warum das Amtsgericht den Sachverhalt nicht mit den beteiligten Eltern erörtert hat, obwohl diese zur mündlichen Anhörung anwesend waren. Diese Vorgehensweise erklärt sich jedoch daraus, dass die Mutter einen Befangenheitsantrag gestellt hatte, über den noch nicht entschieden war. Deshalb durfte das Amtsgericht gemäß § 6 Abs. 1 FamFG i.V.m. § 47 Abs. 1 ZPO zunächst nur unaufschiebbare Amtshandlungen vornehmen. Dazu gehört auch der Erlass einer einstweiligen Anordnung (Sternal in: Sternal, FamFG, 21. Aufl. 2023, § 57 Rn. 48), nicht jedoch die mündliche Erörterung, welche nachgeholt werden kann.



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