juris PraxisReporte

Anmerkung zu:BFH 1. Senat, Urteil vom 13.11.2024 - I R 3/21
Autoren:Dr. Philip von der Meden, RA und FA für Strafrecht,
Prof. Tilman Reichling, RA,
Peter-Jan Solka, RA
Erscheinungsdatum:14.04.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 607 BGB, § 39 AO 1977, § 8b KStG 1977, Art 103 GG, § 1 StGB, § 42 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-StrafR 7/2025 Anm. 1
Herausgeber:Dr. Mayeul Hiéramente, RA und FA für Strafrecht
Zitiervorschlag:von der Meden/Reichling/Solka, jurisPR-StrafR 7/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Wirtschaftliches Eigentum an zur Sicherheit übereigneten Aktien - zugleich zur Kurzlebigkeit von OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.12.2024 - 3 Ws 231/24



Leitsätze

1. Zur Sicherheit übereignete Aktien sind dem Sicherungsnehmer als Inhaber der Aktien zuzurechnen, wenn dieser die wesentlichen mit den Aktien verbundenen Rechte (insbesondere Veräußerung und Ausübung von Stimmrechten) rechtlich und tatsächlich ab dem Eigentumsübergang unabhängig vom Eintritt eines Sicherungsfalls ausüben kann.
2. Bei der Prüfung der steuerlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach § 39 der Abgabenordnung (AO) ist zu prüfen, wem die wesentlichen mit dem Vollrecht an Aktien verbundenen Rechte objektiv und in tatsächlicher Hinsicht zustehen; nicht relevant ist, ob der Inhaber dieser Rechte sie subjektiv auch wahrnehmen möchte.
3. Aus einer zeitlich nach dem Streitjahr eingeführten spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsvorschrift (hier: § 8b Abs. 10 des Körperschaftsteuergesetzes i.d.F. des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008) lässt sich nicht im Wegeeines Umkehrschlusses die Folgerung ziehen, dass eine von ihr erfasste Sachverhaltskonstellation vor dem Inkrafttreten den Tatbestand der allgemeinen Missbrauchsvermeidungsvorschrift des § 42 AO nicht erfüllen kann.



A.
Problemstellung
Die sog. Cum/ex-Strafverfahren sind seit Jahren in aller Munde. Geht es dort um die (jedenfalls) „doppelte“ Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer, werden diese Sachverhalte in der öffentlichen Debatte zunehmend mit solchen Geschäften, die unter dem – nur terminologisch ohne weiteres vergleichbaren – Begriff Cum/cum zusammengefasst werden, vermengt. Das OLG Frankfurt a.M. hatte am 10.12.2024, soweit ersichtlich, die erste obergerichtliche Entscheidung zum Thema „Cum/cum“ aus strafrechtlicher Sicht getroffen. In dieser Entscheidung, die schon mit Hinblick auf ihre Art und die angelegten Maßstäbe erheblichen Bedenken ausgesetzt ist, hatte der Strafsenat des OLG Frankfurt a.M. das Urteil des BFH vom 29.09.2021 (I R 40/17) zum Übergang des wirtschaftlichen Eigentums bei sog. „Wertpapierleihgeschäften“ (d.h. Sachdarlehen über Wertpapiere, § 607 BGB) unberücksichtigt gelassen. Während mit Blick auf einen vom BFH mit Urteil vom 18.08.2015 (I R 88/13) entschiedenen Ausnahmefall im Zeitpunkt der Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. noch eine gewisse Unsicherheit bestanden haben mag, welcher Maßstab für den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums vom Veräußerer auf den Erwerber anzulegen ist, ist diese Unsicherheit mit dem aktuellen Urteil des BFH vom 13.11.2024 (I R 3/21) nun aus der Welt geschafft: Jedenfalls in aller Regel geht das wirtschaftliche Eigentum auch bei steuergetriebenen Cum/cum-Geschäften auf den Erwerber über. Aus strafrechtlicher Sicht kommt dem aktuellen Urteil des BFH damit entscheidende Bedeutung für alle weiteren Cum/cum-Verfahren zu. Eine Steuerhinterziehung wird sich – bis auf seltene Ausnahmekonstellationen – allenfalls noch unter Verweis auf die allgemeine Missbrauchsvorschrift des § 42 AO und die sich in der Folge gerade auch im Subjektiven stellenden Probleme begründen lassen.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Soweit es um die Frage des wirtschaftlichen Eigentums geht, liegt der Entscheidung folgender Sachverhalt zugrunde:
Die Klägerin, eine Aktiengesellschaft (K-AG), übertrug einer Bank festverzinsliche Wertpapiere und erhielt dafür als Sicherheit Aktien übereignet. Die Aktien wurden so ausgewählt, dass während der Haltedauer der K-AG der Dividendenstichtag lag. Nach Ausschüttung der Dividenden wurden die Aktien vereinbarungsgemäß auf Veranlassung der K-AG bzw. im Einvernehmen mit dem Vertragspartner regelmäßig gegen andere Aktien getauscht, für die eine Dividendenzahlung anstand. Während der Haltedauer von wenigen Tagen bis maximal drei Wochen wurde die K-AG über das elektronische Börsensystem als Anteilseigner geführt. Sie konnte frei über die Aktien verfügen. Tatsächlich verfügte sie aber nicht über sie und hatte dies auch nicht vor. Sie übte auch, wie beabsichtigt, keine Stimmrechte aus, hätte dies aber gekonnt. Die bezogenen Dividenden wurden bei der K-AG als im Ergebnis zu 95% steuerfreie Dividenden gemäß § 8b Abs. 1 und 5 KStG behandelt. Die K-AG leitete vertragsgemäß für erhaltene Dividenden Kompensationszahlungen in gleicher Höhe an den Vertragspartner weiter. Eine vorzeitige Beendigung des Wertpapierdarlehens war lediglich für den Fall der Vertragsverletzung oder wegen „geänderter Umstände“ (z.B. Änderung von Rechtsvorschriften oder ihrer amtlichen Auslegung oder Bonitätsveränderungen bei einer Umwandlung) möglich.


C.
Kontext der Entscheidung
Die sog. Cum/ex-Geschäfte haben spätestens mit der Produktion einer achtteiligen Mini-Serie mit dem Titel „Die Affäre Cum-Ex“ Eingang in die Populärkultur gefunden. „Cum/ex“ ist der Inbegriff eines verderbten Kapitalmarktes, der sich krimineller Methoden bedient, um Reiche auf Kosten des Gemeinwesens noch reicher zu machen. Dass Cum/ex-Geschäfte über den Dividendenstichtag mit Leerverkauf nicht zur Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer beim Leerkäufer berechtigen und ein entsprechender Antrag ohne Aufklärung der Finanzbehörde über die Struktur des Geschäfts den Straftatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt, hat der BGH mit Urteil vom 28.07.2021 (1 StR 519/20) zum ersten Mal entschieden. Dass eine Anrechnung oder Erstattung nicht verlangen darf, wer weiß, dass zuvor nichts abgeführt wurde, liegt jedenfalls aus einer moralischen Perspektive auf der Hand. Gleichwohl ist hier eine Verteidigung in subjektiver Hinsicht für diejenigen Beschuldigten möglich, die diese Umstände gerade nicht kannten. Seit 2012 ist mit OGAW IV bereits rechtstechnisch die Möglichkeit einer doppelten Anrechnung bzw. Erstattung entfallen, so dass insoweit die Verwirklichung des Steuerhinterziehungstatbestandes ausgeschlossen ist.
Eine gänzlich andere Fallkonstellation betreffen solche Geschäfte, die unter dem Begriff Cum/cum zusammengefasst werden. Zwar liegen auch Cum/cum-Transaktionen in zeitlicher Nähe zum Dividendenstichtag. Sie unterscheiden sich indes gerade dadurch, dass eine doppelte Anrechnung oder Erstattung der Kapitalertragsteuer denklogisch ausgeschlossen ist, weil das schuldrechtliche Geschäft und die Übertragung der Aktie jeweils mit (cum) Dividende erfolgt. In Cum/cum-Fällen geht es also gerade nicht um eine doppelte Anrechnung oder Erstattung, sondern allein um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Übertragung der Aktie mit dem Dividendenanspruch den Erwerber zur einmaligen Anrechnung oder Erstattung berechtigt. In den meisten Fällen steht die grenzüberschreitende Übertragung großer Aktienbestände in Rede, mit denen steuerliche Nachteile ausländischer Inhaber durch eine Teilung der einmal ersparten Steuer mit einem anrechnungsbefugten Steuerinländer geteilt werden. Eine andere Konstellation betrifft inländische Sachverhalte, in denen ein nicht nach § 8b Abs. 1 Satz 1 KStG privilegierter Steuerpflichtiger die Aktien über den Dividendenstichtag an einen Steuerpflichtigen überträgt, der dieses Privileg geltend machen kann. Man kann in solchen Konstellationen auch von Dividendenstripping sprechen.
Cum/ex- und Cum/cum-Fällen ist also gemein, dass es um das Recht zur Anrechnung oder Erstattung von Kapitalertragsteuer geht. Sie unterscheiden sich aber maßgeblich dadurch, dass die Suche nach einer Gestaltung zur Vermeidung einer anfallenden Steuer weder ungewöhnlich noch in einem durchregulierten Steuersystem auch nur per se moralisch verwerflich wäre. Cum/cum-Geschäften ist die Möglichkeit einer Steuerrechtswidrigkeit also nicht auf die Stirn geschrieben. Daran ändert insbesondere auch nichts, dass Vertreter einer Lobby-Organisation und dieser nahestehende Autoren auf die im Vergleich zu Cum/ex-Geschäften höheren Steuerausfälle durch Cum/cum-Gestaltungen hinweisen und offenbar allein daraus ihre strafrechtliche Relevanz herleiten wollen. Eine solche Argumentation ist unredlich. Aus zweifellos wünschenswerten hohen Steuereinnahmen folgt offensichtlich nicht die Steuerbarkeit bestimmter Geschäfte. Erst recht folgt daraus (oder aus einem Kunstbegriff wie Cum/cum selbst) nicht die Strafbarkeit von im Nachhinein als sozial unerwünscht getadelter Massenpraktiken im Bankwesen.
Steuer- und strafrechtlich kommt es in objektiver Hinsicht allein auf zwei Aspekte an.
Erstens: Ist trotz des unzweifelhaften Übergangs des zivilrechtlichen Eigentums das wirtschaftliche Eigentum einem anderen als dem Erwerber der Aktie zuzuweisen, so dass bereits deshalb keine anrechnungs- oder Erstattungsbefugnis des Erwerbers besteht? Ungenau ist die häufig anzutreffende Formulierung, es sei fraglich, ob das wirtschaftliche Eigentum übergehe, denn nach dem Gesetzeswortlaut des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO muss für den Ausnahmefall des Auseinanderfallens von zivilrechtlichem und wirtschaftlichem Eigentum positiv festgestellt werden, dass ein anderer als der Eigentümer den Eigentümer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut ausschließen kann.
Zweitens: Liegt trotz eines etwaigen Übergangs des zivilrechtlichen und wirtschaftlichen Eigentums ein Fall des Gestaltungsmissbrauchs (§ 42 AO) vor, der erstens steuerlich einer Anrechnung bzw. Erstattung entgegensteht und zweitens sogar eine Strafbarkeit desjenigen nach sich zieht, der sich an einer entsprechenden Steuererklärung beteiligt?
Zuletzt war in der Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. die Frage erörtert und bejaht worden, ob die subjektiv fehlende Absicht einer wirtschaftlichen Nutzung der Aktien einem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums vom Veräußerer auf den Erwerber entgegenstehen könne (OLG Frankfurt a.M., Beschl. v. 10.12.2024 - 3 Ws 231/24). Auch das FG Kassel (Urt. v. 28.01.2020 - 4 K 890/17) hatte diese Auffassung mit Verweis auf BFH, Urt. v. 18.08.2015 - I R 88/13 vertreten.
Bereits mit Urteil vom 29.09.2021 (I R 40/17) machte der BFH indes deutlich, dass es sich bei dem Urteil I R 88/13 um eine Ausnahmeentscheidung handelte. Mit dem nun ergangenen Urteil bekräftigt der BFH die Entscheidung I R 40/17 und macht damit in einer für die Praxis unmissverständlichen Weise deutlich, dass entgegen anderslautender Stimmen das wirtschaftliche Eigentum bei „Wertpapierleihgeschäften“ immer bereits dann übergeht, wenn die mit den Aktien verbundenen Kurschancen und Kursrisiken auf den Erwerber übergehen. Ob ein Handel mit den Aktien tatsächlich beabsichtigt war bzw. die Aktien tatsächlich gehandelt wurden, ist irrelevant. Relevant ist einzig, dass der Erwerber „an einer Verfügung über die Wertpapiere weder rechtlich (vertraglich oder gesetzlich) noch faktisch gehindert ist und er folglich eine Änderung des Kurswerts durch Veräußerung der Aktien am Markt und spätere Wiederbeschaffung von Aktien der gleichen Gattung realisieren könnte.“ Der BFH stellt dabei klar, dass es nur auf die objektive bzw. tatsächliche Verfügungsbefugnis ankommt; „nicht relevant ist […] die subjektive Absicht, rechtlich und tatsächlich bestehende Befugnisse auch wahrnehmen zu wollen.“ Im Ergebnis kommt es damit – wie bei Cum/ex-Geschäften (BFH, Urt. v. 16.04.2014 - I R 2/12 Rn. 41 - DStR 2014, 2012, 2017) – allein darauf an, ob dem Erwerber „die Ausübung der mit den Aktien verbundenen Stimmrechte und die Möglichkeit zur Realisation einer Kursänderung der Aktien rechtlich zugestanden haben und […] auch tatsächlich möglich gewesen sind.“ Ist dies der Fall, steht auch die Leistung von Kompensationszahlungen für die erhaltene Dividende dem Übergang des wirtschaftlichen Eigentums nicht entgegen (BFH, Urt. v. 29.09.2021 - I R 40/17 Rn. 37 - NZG 2022, 468, 470).
Das wirtschaftliche Eigentum verbleibt somit nach der Rechtsprechung des BFH trotz Übergangs des zivilrechtlichen Eigentums nur dann ausnahmsweise beim Veräußerer der Aktien, wenn eine Verfügung über die Aktien während der Haltedauer tatsächlich oder rechtlich unmöglich ist. Rechtliche Verfügungsbeschränkung können dabei sowohl aus dem Gesetz als auch aus vertraglichen Vereinbarungen folgen. So hindern vertragliche Verfügungsbeschränkungen den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums unabhängig von ihrer zivilrechtlichen Wirkung auf die Wirksamkeit der Verfügung, da auf die vertragliche Zuordnung und nicht die faktischen Möglichkeiten zur Umgehung dieser Zuordnung abzustellen ist.
Tatsächlich unmöglich kann die Verfügung über die Aktien nach Auffassung des BFH unter Verweis auf Anzinger (StuW 2022, 194, 197) insbesondere sein, wenn sich aus der Zusammenschau entsprechender Vereinbarungen im Einzelfall ergibt, „dass der Darlehensnehmer ungeachtet rechtlicher Möglichkeit faktisch nicht sinnvoll über die Wertpapiere verfügen kann, weil er diese – für ihn unvorhersehbar – innerhalb kürzester Zeit zurückübertragen muss“. Solche Konstellationen dürften in der Praxis allerdings kaum vorkommen. Der BFH misst selbst der Vereinbarung einer kurzen Kündigungsfrist von drei Tagen keine Auswirkung auf den Übergang des wirtschaftlichen Eigentums zu, da auch eine Haltedauer von wenigen Tagen ausreiche, „um Kursschwankungen von börsennotierten Aktien, zu denen die übertragenen britischen Aktien zählten, kurzfristig realisieren zu können“ (vgl. bereits BFH, Urt. v. 29.09.2021 - I R 40/17 Rn. 39 - NZG 2022, 468, 470). Erforderlich dürfte demnach nur sein, dass dem Verleiher der Zugriff auf das Wertpapier für einen Zeitraum entzogen und dem Entleiher zugeordnet ist, in dem ein Handel unter Realisierung von Kursrisiken und -chancen möglich ist. Davon ausgehend, dass erhebliche Schwankungen am Aktienmarkt in Minutenbruchteilen möglich sind, wird dafür der Zeitraum genügen, der technisch erforderlich ist, um mindestens eine Transaktion unter Einsatz der Aktie zu tätigen, die sich vor Steuern unmittelbar wirtschaftlich auf den Erwerber auswirken könnte. Szenarien, in denen dies nicht der Fall ist, sind praktisch kaum vorstellbar oder liegen zumindest fern – weder die Vereinbarung einer sofortigen Rückübertragungspflicht noch ein bloßer Durchgangserwerb sind in Cum/cum-Konstellationen zu erwarten.
Im Ergebnis dürfte somit – konträr zur Auffassung des OLG Frankfurt a.M. – bei der ganz überwiegenden Zahl der Cum/cum-Konstellationen das wirtschaftliche Eigentum an den verliehenen Wertpapieren übergangen sein und somit eine Strafbarkeit wegen Steuerhinterziehung zumindest auf dieser Grundlage ausscheiden.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil des BFH zieht aus praktischer Sicht einen Schlussstrich unter die Diskussion, ob neben die objektive Verfügungsbefugnis über die übertragenen Aktien noch weitere Umstände hinzutreten müssen, damit auch das wirtschaftliche Eigentum dem zivilrechtlichen Eigentümer zugerechnet wird. Insbesondere ist damit der erst seit wenigen Wochen veröffentlichten Entscheidung des Strafsenats des OLG Frankfurt a.M. der Boden entzogen, soweit sich aus ihr ein anderer Prüfungsmaßstab ergibt. Eine Aufforderung zur umfassenden Strafverfolgung sämtlicher Personen, die an Cum/cum-Geschäften beteiligt waren, kann deshalb in der Entscheidung des OLG Frankfurt a.M. nicht gesehen werden (so aber unter Ausblendung der Rechtsprechung des BFH Roth, NZWiSt 2025, 117 ff.). Die nunmehr zweifach bestätigte Rechtsauffassung des zur verbindlichen Beantwortung steuerlicher Fragestellungen berufenen Bundesgerichts sollte insbesondere von fachfremden Instanzgerichten akzeptiert werden.
Steuerlich verlagert sich der Fokus damit auf die Frage, ob und unter welchen Umständen ein Gestaltungsmissbrauch i.S.d. § 42 AO vorliegt, den der BFH auch unter Berücksichtigung der speziellen Missbrauchsvorschrift des § 8b Abs. 10 KStG im vorliegenden Fall für anwendbar hält. Der BFH hat in seinen Hinweisen für den zweiten Rechtsgang einige Aspekte herausgearbeitet, die für einen Gestaltungsmissbrauch sprechen können. Dabei wird es nach Auffassung des BFH steuerlich insbesondere darum gehen, ob die in Rede stehenden Geschäfte einen über die Verschaffung eines Steuervorteils hinausgehenden eigenen wirtschaftlichen Zweck haben. Lässt sich ein solcher Zweck identifizieren, sind die Geschäfte bereits steuerlich nicht zu beanstanden. In den Blick zu nehmen sein wird hier auch, dass der Gesetzgeber mit dem Jahressteuergesetz 2007 nur auf Cum/ex-Gestaltungen reagieren wollte, aber gerade nicht auf die ebenfalls erkannten Cum/cum-Gestaltungen und dass bis zur Novellierung des § 8b Abs. 4 KStG im Jahr 2013 der EuGH die Unionsrechtswidrigkeit des § 8b Abs. 1 KStG a.F. festgestellt hatte (Lindermann, DStR 2019, 1549, 1554 f.).
Strafrechtlich liegt aber selbst im Falle eines Gestaltungsmissbrauch nicht bereits aus diesem Grund eine Steuerhinterziehung vor (vgl. auch Ziff. 3 Satz 1 AEAO zu § 42). Zwar hat das BVerfG (Beschl. v. 26.06.2008 - 2 BvR 2067/07 - NJW 2008, 3346, 3347) mit Blick auf den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG, § 1 StGB) grundsätzlich die Anwendung allgemeiner steuerlicher Begriffe gebilligt, wenn aufgrund einer langjährigen einheitlichen Rechtsprechung der tradierte begriffliche Rahmen von den Fachgerichten beachtet wird. Problematisch ist indes, dass die Judikatur zum Gestaltungsmissbrauch gerade keine Fallgruppe kennt, die sich in einer für den Normunterworfenen im Zeitraum bis 2012 ohne Weiteres vorhersehbaren Weise auf (alle) Cum/cum-Konstellationen übertragen ließe (vgl. Jachmann-Michel, DB 2024, 817, 825 ff.).
Schließlich wird im Fall der Anwendung des § 42 AO aus steuerstrafrechtlicher Sicht der Vorsatz besonders gründlich zu prüfen sein, weil mangels Vergleichbarkeit zu Cum/ex-Konstellationen ein Irrtum des Täters naheliegen kann und regelmäßig wird (vgl. Schmitz/Wulf in: MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2023, § 370 AO Rn. 27).



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