Kontext der Entscheidung
Als echte Sonderdelikte stellen die Bankrotttatbestände gemäß § 283 Abs. 1 StGB sowie die Insolvenzverschleppung gemäß § 15a Abs. 1, 4 Nr. 1 InsO für die Beurteilung der Täterschaft auf die Stellung des Täters als vertretungsberechtigtes Organ ab (Pelz in: Wabnitz/Janovsky/Schmitt, WirtschaftsStrafR-HdB, 6. Aufl. 2025, 9. Kap. Rn. 115; Petermann/Sackreuther in: MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2022, vor § 283 StGB Rn. 35). Neben dem Abwickler bzw. Liquidator der Gesellschaft sind nur die vertretungsberechtigten Organe der Gesellschaft gemäß § 15a Abs. 4 Nr. 1 InsO verpflichtet, einen Insolvenzantrag zu stellen bzw. erlangen über die Zurechnungsnorm des § 14 Abs. 1 Nr. 1 StGB die für die Bankrottdelikte erforderliche Schuldnereigenschaft.
Mit der sog. Firmenbestattung wird ein Phänomen beschrieben, bei dem (häufig sanierungsbedürftige) Unternehmen durch Übertragung sämtlicher Firmenanteile bzw. der Geschäftsleitung auf einen Dritten liquidiert werden (sollen). Nicht selten steht dann der Vorwurf im Raum, dass mittels rechtswidriger Abwicklung von sanierungsbedürftigen, in der Regel insolvenzgefährdeten Unternehmen Gläubigerschutzvorschriften unterlaufen werden sollen und die Geschäftsleitung sich nicht zuletzt den Haftungsrisiken einer Insolvenz entziehen will (Schütz, wistra 2016, 53, 53). Oder wie der BGH es in der hier besprochenen Entscheidung ausdrückt – der Gesellschaft im Wege einer „Firmenbestattung“ noch vorhandene Vermögenswerte entzogen und ihre Gläubiger „abgeschüttelt“ werden (Rn. 15).
Für die beteiligten Alt- und Neu-Geschäftsführer stellen sich deshalb im Rahmen von Firmenbestattungen eine Vielzahl an (straf-)rechtlich relevanten Fragen, insbesondere im Zusammenhang mit der Sittenwidrigkeit und der daraus ggf. resultierenden Unwirksamkeit ihrer strafbegründenden (Ab-)Bestellung (BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 199/12 - NZI 2013, 365, 367 Rn. 21 f. m.w.N; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 19.04.2013 - 2 (7) Ss 89/12 - AK 63/12 - NZG 2013, 818, 819).
Nach der hier besprochenen Entscheidung des BGH sollen allerdings nicht nur Alt- und Neu-Geschäftsführer als Täter von Bankrottdelikten bzw. einer Insolvenzverschleppung in Betracht kommen, sondern auch der sog. Firmenbestatter, der regelmäßig durch den Altgeschäftsführer beauftragt wird und bei der Abwicklung der Gesellschaft Hilfe leistet oder, wie der BGH es sich vorstellt, als faktischer Geschäftsführer die Fäden bei der Abwicklung der Gesellschaft in der Hand hält und in dieser Phase die maßgeblichen operativen Entscheidungen trifft.
Wie kommt nun der BGH zu der Einschätzung, dass eine Person, die ausschließlich die Abwicklung einer Gesellschaft unterstützt bzw. übernommen hat, als faktischer Geschäftsführer einzuordnen ist? In dieser „Lebensphase“ einer Gesellschaft, so drängt sich der Gedanke auf, gibt es nur noch wenige unternehmerische Entscheidungen, die es zu treffen gilt. Grundsätzlich werden Personen als faktische Geschäftsführer bezeichnet, die rechtlich nicht wirksam zum Organ bestellt worden sind, im Unternehmen gleichwohl organtypischen Aufgaben tatsächlich übernehmen. Die faktische Übernahme der Geschäftsführung kann dabei verschiedene Gründe haben. Hintergrund kann z.B. ein fehlerhafter Bestellungsakt sein. Dieser kann auf einer a priori fehlerhaften Gesellschaftsgründung oder sonstigen Form- und Eintragungsmängeln beruhen (Radtke in: MünchKomm StGB, 5. Aufl. 2024, § 14 StGB Rn. 118; O. Hohmann in: MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2023, § 82 GmbHG Rn. 51). Gemäß § 14 Abs. 3 StGB werden fehlerhaft bestellte Organe vom Täterkreis der Insolvenz- und Bankrottdelikte einbezogen.
Scheitert der Bestellungsakt hingegen nicht an seiner anfänglichen oder nachträglichen Rechtsunwirksamkeit, sondern ist dieser erst gar nicht beabsichtigt, so bejahen Rechtsprechung sowie die wohl h.M. in der Literatur die Übertragbarkeit der Grundsätze faktischer Geschäftsführung gleichwohl auch auf diese Konstellation, teilweise unter Konstruktion eines sog. konkludenten Bestellungsvorgangs bzw. einer defacto stillschweigenden aber formal nicht erfolgten Bestellung des faktischen Geschäftsführers (BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 199/12 - NZI 2013, 365, 368; BGH, Urt. v. 10.05.2000 - 3 StR 101/00 - NJW 2000, 2285, 2285; Raum in: Wabnitz/Janovsky/Schmitt, WirtschaftsStrafR-HdB, 6. Aufl. 2025, 4. Kap. Rn. 20; Momsen/Laudien in: BeckOK StGB, 64. Ed. 01.02.2025, § 14 StGB Rn. 68; Schönke/Schröder/Perron/Eisele, 30. Aufl. 2019, § 14 StGB Rn. 43 m.w.N.). So ist das aus der Praxis bekannte Beispiel des gemäß § 6 Abs. 2 GmbHG inhabilen Geschäftsführers anzuführen, der im Hintergrund die Geschicke der Gesellschaft lenkt. Ein solcher ist tauglicher Täter von Bankrott- und Insolvenzdelikten, da er ohne förmliche Bestellung die Geschäfte der Gesellschaft im Hintergrund faktisch übernimmt und ausübt.
Gegenstimmen in der Literatur lehnen eine derartige Erweiterung der Rechtsfigur der faktischen Geschäftsführung ab (O. Hohmann in: MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2023, § 15a InsO Rn. 60; Lackner/Kühl/Heger/Heger, 30. Aufl. 2023, § 14 StGB Rn. 6; Matt/Renzikowski/Schröder/Bergmann, 2. Aufl. 2020, § 14 StGB Rn. 89; Bergmann, NZWiSt 2014, 81, 84). Der Wortlaut des § 15a Abs. 4 Nr. 1 InsO stelle auf eine Rechtsbeziehung des vertretungsberechtigten Organs zur Gesellschaft ab, diese Organstellung werde rechtlich allein durch einen Bestellungsakt begründet und nicht rein faktisch (O. Hohmann in: MünchKomm StGB, 4. Aufl. 2023, § 15a InsO Rn. 60, 63 f.; Bergmann, NZWiSt 2014, 81, 84). Eine hiervon abweichende Normauslegung verstoße gegen das strafrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 103 Abs. 2 GG. Das BVerfG hat die Vereinbarkeit der BGH-Rechtsprechung zur faktischen Geschäftsführung mit der Wortlautgrenze des Begriffs „Mitglied eines Vertretungsorgans“ gemäß § 15a Abs. 1, 4 InsO zuletzt ausdrücklich offengelassen (BVerfG, Nichtannahmebeschl. v. 16.08.2021 - 2 BvR 972/21 Rn. 26).
Zur Feststellung, ob eine faktische Geschäftsführung im vorbezeichneten Sinne vorliegt, wird in der Rechtsprechung (bislang) auf etablierte Kriterien und Beweisindizien zurückgegriffen. Die Einbeziehung faktischer Organe in die strafrechtliche Verantwortlichkeit setzt voraus, dass die Einflussnahme im (stillschweigenden) Einverständnis mit den sonstigen vertretungsberechtigten Gesellschaftern erfolgt, eine einseitige Anmaßung von Geschäftsführungsbefugnissen reicht somit nicht aus (Matt/Renzikowski/Schröder/Bergmann, 2. Aufl. 2020, § 14 StGB Rn. 79). Gegenüber formell bestellten (Stroh-)Geschäftsführern muss der faktische Geschäftsführer eine überragende Stellung einnehmen (OLG Schleswig, Urt. v. 27.11.2024 - 9 U 22/24 - NZG 2025, 260, 262). Dabei bleibt eine mittäterschaftliche Tatbegehung von eingetragenem und faktischem Geschäftsführer grundsätzlich möglich (BGH, Beschl. v. 15.11.2012 - 3 StR 199/12 - NZI 2013, 365, 367 f.). Der faktische Geschäftsführer muss die wesentlichen Geschäftsvorgänge leiten. Hierzu hat sich ein Kriterienkatalog von sog. klassischen Merkmalen aus dem Kernbereich der Unternehmensleitung herausgebildet (Bestimmung der Unternehmenspolitik, Unternehmensorganisation, Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern, Bestimmung der Höhe der Gehälter, Gestaltung der Geschäftsbeziehung zu Vertragspartnern, Verhandlungen mit Kreditgebern, Treffen von Entscheidungen in Steuerangelegenheiten und Steuerung der Buchführung). Nach der dazugehörigen „Sechs-von-acht-Theorie“ wird das Vorliegen der faktischen Geschäftsführung bei einer entsprechenden Erfüllungsquote regelmäßig bejaht (Dierlamm, NStZ 1996, 153, 156; BayObLG, Urt. v. 20.02.1997 - 5St RR 159/96 - NJW 1997, 1936, 1936).
Soweit also die „langjährige, gefestigte Rechtsprechung“ zur hinreichenden Bestimmtheit dieser Rechtsfigur angeführt wird (Erbs/Kohlhaas/Schaal, 255. EL Januar 2025, § 82 GmbHG Rn. 7), verliert diese Herangehensweise mit dem vorliegenden Urteil des BGH nun allerdings an Tragkraft. Der BGH erteilt dem schematischen Abarbeiten dieses Kriterienkatalogs nunmehr (jedenfalls für „nicht werbende“ Unternehmen) eine Absage. Ein Kriterienkatalog dürfe keine Subsumtion des Einzelfalls in seiner Gesamtschau unter den Tatbestand der Strafnorm ersetzen. Zudem hätten die für werbende Unternehmen entwickelten Kriterien auf den Fall einer in der Abwicklung befindlichen Gesellschaft nur begrenzte Aussagekraft. Die faktische Übernahme der Geschäftsleitung sei anhand der tatsächlich (noch) anfallenden organtypischen Aufgaben zu bemessen (Rn. 15).
Wesensprägend für die Annahme faktischer Geschäftsführung war bislang zudem das Erfordernis des Auftretens nach außen (Schütz, wistra 2016, 53, 57; Matt/Renzikowski/Schröder/Bergmann, 2. Aufl. 2020, § 14 StGB Rn. 87; Mätzig in: BeckOK GmbHG, 63. Ed. 01.02.2025, § 64 GmbHG Rn. 16). Eine rein interne Einwirkung auf den satzungsmäßig berufenen Geschäftsführer war gerade nicht ausreichend, womit dem Kriterium der Außenwirkung entscheidende Bedeutung zukommt bzw. zukam (OLG Schleswig, Urt. v. 27.11.2024 - 9 U 22/24 Rn. 48). Die Vorinstanz hatte eine faktische Organstellung des Firmenbestatters auch aufgrund fehlender Feststellbarkeit eines solchen Außenauftritts verneint (Rn. 9). Auch die Verbindlichkeit dieses Kriteriums scheint der BGH nunmehr aufzugeben. Die Strafwürdigkeit beruhe insoweit nicht auf einem nach außen begründeten Rechtsschein, sondern auf der tatsächlichen Übernahme der Organstellung (Rn. 20).
Für den Normadressaten dürfte zunehmend unklarer werden, wann er als faktischer Geschäftsführer zu klassifizieren ist und sich ggf. einer strafrechtlichen Verantwortlichkeit ausgesetzt sehen könnte. Dem BGH ist zwar darin zuzustimmen, dass die klassischen Merkmale der Geschäftsführung werbender Unternehmen nicht ohne Weiteres auf eine Gesellschaft anwendbar sind, die wenig bis gar nicht (mehr) am Rechtsverkehr teilnimmt. Ein gänzlicher Verzicht auf das Vorliegen der „klassischen Merkmale“ der Geschäftsleitung, die die Rechtsprechung z.T. der faktischen Geschäftsführung aufgestellt hat, erscheint allerdings auch bei der Fallkonstellation der „Firmenbestattung“ nicht angezeigt, da die Annahme naheliegt, dass darin ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG vorliegen könnte. Schließlich beruht die Klassifizierung des Firmenbestatters als faktischer Geschäftsführer weder auf einem fehlerhaften Bestellungsakt noch auf einer rein faktischen Übernahme der Geschäftsleitung, die von dem stillschweigenden Einverständnis sämtlicher Beteiligten getragen wird. Unbenommen der vielfältigen Fallkonstellationen will der Firmenbestatter die Gesellschaft in der Regel gerade nicht als eigene fortführen, sondern diese im Auftrag eines anderen abwickeln. Die maßgebliche operative Entscheidung, die Gesellschaft abzuwickeln, trifft in aller Regel somit nicht der Firmenbestatter, sondern regelmäßig der (Alt-)Geschäftsführer, der den Firmenbestatter beauftragt hat. Entsprechend hatte der 5. Strafsenat des BGH in der Vergangenheit entschieden, dass die Anwendung der Grundsätze der faktischen Geschäftsführung in derartigen Fallkonstellationen zu verneinen ist (BGH, Beschl. v. 20.09.1999 - 5 StR 729/98 - NStZ 2000, 34, 35 f.).
Zirkelschlüssig sind die nunmehr vom 5. Strafsenat vorgetragenen Hilfskriterien, mittels derer man einen „exklusiven Zuständigkeitsbereich des Vertretungsorgans“ ermitteln könne (Rn. 21). Die faktische Übernahme der Kontrolle über die Erfüllung der Pflichten zur Bilanzierung und Buchführung, zum Kapitalerhalt und zur Stellung eines Insolvenzantrags sei ein Beleg für die Verletzung der Kompetenzordnung zur Geschäftsleitung. Die Stellung als Geschäftsführer wird jedoch nicht durch die Zuschreibung von Pflichten indiziert, die es dem Betroffenen gerade nachzuweisen gilt. Im Stadium der Abwicklung wird die korrekte Buchführung ebenfalls von nachrangiger Bedeutung sein. Die Feststellung von faktischer Geschäftsführung im Rahmen der Firmenbestattung ist daher von gesteigerter Unsicherheit und Unvorhersehbarkeit für die Protagonisten geprägt.
Auswirkungen für die Praxis
Ohne Not bzw. aus dem Bedürfnis heraus, eine ggf. bestehende Strafbarkeitslücke zu schließen, weicht der BGH die klassischen Kriterien faktischer Geschäftsführung auf, um Firmenbestatter in jedem Falle als solche einordnen zu können. Hierbei wird nach hiesiger Auffassung allerdings der wesentliche Umstand außer Acht gelassen, dass die maßgebliche operative Initiative zur Durchführung der Firmenbestattung nicht vom Firmenbestatter selbst ausgeht, sondern von dem Altgeschäftsführer, der den Firmenbestatter beauftragt und durch den BGH auf greifbare Anknüpfungspunkte unternehmerischen Handelns verzichtet wird.
Unter dem Eindruck der vorstehend geäußerten Bedenken wird in der Literatur vereinzelt vertreten, dass man dort auf die Stellung eines „faktischen Liquidators“ ausweichen könne, wo der Nachweis faktischer Geschäftsführung misslingt (Pelz/Grotebrune in: Pelz/Grotebrune, StrafR 3. Aufl. 2022, Rn. 861; LG Bochum, Urt. v. 02.03.2015 - II-2 KLs - 35 Js 4/11 - 17/14; Schütz, wistra 2016, 53, 57; Kümmel, wistra 2012, 165, 169). Diese Ansicht führt indes auch zu keinem Mehrwert an Bestimmtheit, sondern verlagert das Problem lediglich auf eine ungeschriebene Rechtsfigur anderer Art. Ähnlich dürfte es der BGH gesehen haben: Die Vorinstanz hatte die Einordnung des Angeklagten als faktischen Liquidator ausdrücklich abgelehnt, der BGH rügt diese Einschätzung im Ergebnis nicht (BGH, Beschl. v. 27.02.2025 - 5 StR 287/24 Rn. 9).
Mit diesem Urteil werden nicht nur gewerblich agierende Firmenbestatter einem erhöhten Strafbarkeitsrisiko ausgesetzt, sondern auch sonstige im Hintergrund des Unternehmens agierende Akteure (Matt/Renzikowski/Schröder/Bergmann, 2. Aufl. 2020, § 14 StGB Rn. 89). Das gilt nicht nur für von vornherein auf eine illegale Firmenbestattung angelegte Fälle, sondern auch für die von Unsicherheiten und einer erheblichen Dynamik geprägten legalen Restrukturierung von Unternehmen. Es ist daher insbesondere in Fällen der Restrukturierung dringend angezeigt, frühzeitig rechtlichen Rat einzuholen, um eine mögliche strafrechtliche Haftung des Geschäftsführers sowie sonstigen im Hintergrund wirkenden Unternehmensangehörigen, wie etwa Anteilseignern oder designierten Nachfolgern von Familienunternehmen, zu vermeiden.