Keine Absetzbarkeit von Einkommensteuernachforderungen für Vorjahre vom Einkommen im aktuellen Leistungsmonat gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 5 SGB IIOrientierungssätze zur Anmerkung 1. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II erfasst - jedenfalls bei einer Erwerbstätigkeit in abhängiger Beschäftigung - nur solche Steuern, die sich auf das im Leistungsmonat erzielte Einkommen beziehen. Einkommensteuernachforderungen für Vorjahre fehlt dieser notwendige Bezug. Sie beruhen vielmehr auf Einkommen in früheren Zeiträumen und stehen deshalb Schulden gleich, die grundsätzlich keine Hilfebedürftigkeit begründen. 2. Ausgaben i.S.d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II sind nur solche, die gerade durch die Erzielung des jeweiligen Einkommens kausal verursacht sind; nur diese Ausgaben können „notwendig“ mit der Erzielung des Einkommens verbunden sein. Die erforderliche Kausalität liegt nicht vor, wenn zwischen dem Einkommen im Leistungsmonat und einer Einkommensteuernachforderung für Vorjahre keinerlei Zusammenhang besteht. Die Zahlung von Einkommensteuer ist schon grundsätzlich keine Voraussetzung für die Erzielung von Einkommen (hier: aus Erwerbstätigkeit), sondern Rechtsfolge des Steuersystems. 3. Im Falle des Zusammentreffens von laufendem Erwerbseinkommen mit auf einen sechsmonatigen Verteilzeitraum aufzuteilendem einmaligem Erwerbseinkommen ist eine kumulative Absetzung von Erwerbstätigenfreibeträgen i.S.d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II vorzunehmen. Zwar will § 11b Abs. 1 Satz 2 SGB II den mehrfachen Abzug von Absetz- und Freibeträgen von demselben Einkommen vermeiden, doch handelt es sich bei einem laufenden und einem einmaligen Erwerbseinkommen gerade nicht um dasselbe Einkommen. - A.
Problemstellung Streitig war die Höhe des Arbeitslosengeld II-Anspruchs für Dezember 2017 und Dezember 2018. Dabei ging es im Wesentlichen um die Absetzbarkeit von Einkommensteuernachforderungen des Finanzamts für Vorjahre sowie um die Berücksichtigungsfähigkeit von Jahressonderzahlungen des Arbeitgebers als Einkommen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die aufstockendes Arbeitslosengeld II beziehende Klägerin hatte in den streitbefangenen Monaten eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitbeschäftigung bei einem öffentlichen Arbeitgeber (Universität) ausgeübt. Ihr regelmäßiges monatliches Erwerbseinkommen hatte sich im Dezember 2017 auf 1.416,08 Euro brutto und im Dezember 2018 auf 1.449,36 Euro brutto belaufen. Daneben hatte sie Jahressonderzahlungen i.H.v. 1.317,65 Euro brutto im November 2017 und i.H.v. 1.376,89 Euro brutto im November 2018 erhalten. Wegen der unberücksichtigt gebliebenen Jahressonderzahlung aus November 2017 hatte das Jobcenter – gestützt auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 SGB III i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB X – seine Leistungsbewilligung für den Zeitraum vom 01.12.2017 bis zum 30.04.2018 teilweise aufgehoben und die Erstattung des als überzahlt angesehenen Betrags verlangt. Deswegen hatte die Klägerin Klage erhoben. Mit Zahlungsfristen bis 27.12.2017 bzw. 19.11.2018 hatte das für die Klägerin zuständige Finanzamt Einkommensteuernachforderungen für 2016 bzw. 2017 festgesetzt. Die Anträge der Klägerin auf deren „Übernahme“ hatte das Jobcenter jeweils abgelehnt. Wegen der die Einkommensteuernachforderung für 2017 betreffenden Ablehnung hatte die Klägerin ebenfalls Klage erhoben. Für den Zeitraum vom 01.12.2018 bis zum 31.05.2019 hatte das Jobcenter Arbeitslosengeld II zunächst vorläufig und im Verlauf des Klagverfahrens abschließend festgesetzt. Das Sozialgericht hatte – nach Verbindung der beiden Klagverfahren zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung – das Jobcenter unter Klagabweisung im Übrigen verpflichtet, die Einkommensteuernachforderungen als auf das Einkommen entrichtete Steuern i.S.d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II abzusetzen (SG Düsseldorf, Gerichtsbescheid v. 09.12.2021 - S 35 AS 1239/19). Das Landessozialgericht hatte diese Entscheidung aufgehoben und die Klagen abgewiesen (LSG Essen, Urt. v. 06.04.2023 - L 6 AS 947/22). Das BSG hat auf die zugelassene Revision der Klägerin das Urteil des Landessozialgerichts aufgehoben und die Sache mangels ausreichender Feststellungen zum Unterkunftsbedarf gemäß § 170 Abs. 2 Satz 2 SGG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landessozialgericht zurückverwiesen. In den Entscheidungsgründen hat es unter anderem ausgeführt: Die Einkommensteuernachforderungen begründen keinen Mehrbedarf i.S.d. § 21 SGB II (a.F. durch Art. 4 Nr. 1 des BTHG vom 23.12.2016). Sie seien auch weder gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II noch gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II vom Einkommen absetzbar. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II erfasse – jedenfalls bei Erwerbstätigkeit in abhängiger Beschäftigung – nur solche Steuern, die sich auf das im Leistungsmonat erzielte Einkommen beziehen. Das folge aus systematischen Erwägungen und werde gestützt vom Wortlaut der Vorschrift, wonach „auf das Einkommen entrichtete Steuern“ abzusetzen seien. Unter Berücksichtigung des Einkommensbegriffs und des Monatsprinzips sei insoweit allein das in dem Monat zugeflossene Einkommen in den Blick zu nehmen, für den Leistungen beansprucht würden. Einkommensteuernachforderungen für Vorjahre fehle dieser notwendige Bezug zum Einkommen im Leistungsmonat. Sie beruhen vielmehr auf Einkommen in früheren Zeiträumen und stehen deshalb Schulden gleich, die grundsätzlich keine Hilfebedürftigkeit begründen. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II eröffne nur die Absetzung von durch die Erzielung des jeweiligen Einkommens kausal verursachten Ausgaben. Eine solche Kausalität liege hier nicht vor, weil zwischen den Einnahmen im Dezember 2017 bzw. Dezember 2018 und den Einkommensteuernachforderungen für 2016 bzw. 2017 keinerlei Zusammenhang bestehe. Die Zahlung von Einkommensteuer sei schon grundsätzlich keine Voraussetzung für die Erzielung von Einkommen (hier: aus Erwerbstätigkeit), sondern eine Rechtsfolge des Steuersystems. Neben dem laufenden monatlichen Erwerbseinkommen seien die Jahressonderzahlungen aus November 2017 bzw. November 2018 wie einmalige Einnahmen zu berücksichtigen. Zwar seien sie nach ihrem Rechtsgrund wiederkehrend zu zahlen gewesen, so dass es sich tatsächlich um laufende und nicht um einmalige Einnahmen gehandelt habe. Sie seien aber entsprechend den tarifvertraglichen Regelungen nur jährlich und damit in einem größeren als monatlichen Abstand i.S.d. § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II (a.F. durch Bekanntmachung vom 13.05.2011) zugeflossen, weshalb auf sie gleichwohl § 11 Abs. 3 SGB II (a.F. durch Art. 1 Nr. 8 Buchst. b des InsoAntrAussG/SGB2ÄndG9 vom 26.07.2016) anzuwenden sei. Da die volle Berücksichtigung in einem Monat den Leistungsanspruch der Klägerin für diesen Monat hätte entfallen lassen, seien beide Jahressonderzahlungen auf einen jeweils sechsmonatigen Verteilzeitraum ab Dezember 2017 bzw. Dezember 2018 aufzuteilen. Entgegen der Auffassung des Landessozialgerichts seien sie neben den Absetzungen wegen Steuern und Versicherungsbeiträgen um einen (zusätzlichen) Erwerbstätigenfreibetrag gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II zu bereinigen. Für eine wegen Freibeträgen auf laufende Einkünfte nur begrenzte Absetzbarkeit finde sich nach Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Regelung kein Anhaltspunkt. Zwar wolle § 11b Abs. 1 Satz 2 SGB II einen mehrfachen Abzug von Absetz- und Freibeträgen auf dasselbe Einkommen vermeiden, doch handle es sich bei einem laufenden und einem einmaligen Einkommen gerade nicht um dasselbe Einkommen.
- C.
Kontext der Entscheidung Bereits zu § 193 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III a.F. hatte das BSG (vgl. BSG, Urt. v. 26.10.2004 - B 7 AL 2/04 R Rn. 15 - SozR 4-4300 § 194 Nr 5) entschieden, dass die Norm nur Steuern erfasse, durch die das zur Bestreitung des Lebensunterhalts im aktuellen Leistungsmonat verwendbare Einkommen tatsächlich gemindert werde. Aufgelaufene Steuerschulden für zurückliegende Zeiträume seien demgegenüber strukturell nichts anderes als sonstige Schulden, die gerade nicht abzusetzen seien. Letzteres entspricht auch zum SGB II der ständigen Rechtsprechung des BSG. Danach sind zum Zeitpunkt des Einnahmezuflusses bestehende offene Schulden oder freiwillige Ausgaben zur Begleichung derselben nicht absetzbar. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende dient als subsidiäre Sozialleistung der Vermeidung von Hilfebedürftigkeit. Sie soll erst dann eingreifen, wenn der Leistungsbegehrende nicht über („bereite“) Eigenmittel zur Existenzsicherung verfügt. Ihr Sinn und Zweck liegt hingegen nicht in der Förderung von Vermögensbildung und grundsätzlich auch nicht in der einschränkungslosen Vermögenserhaltung (vgl. BSG, Urt. v. 07.11.2006 - B 7b AS 8/06 R Rn. 35 m.w.N. - BSGE 97, 217). Entsprechende Effekte dürfen auch nicht mittelbar dadurch bewirkt werden, dass das Jobcenter dem Leistungsbegehrenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in einer Höhe gewährt, die ihm den Einsatz seines Einkommens zur Schuldentilgung ermöglicht. Vielmehr gilt, da sich der Gesetzgeber des SGB II an den vorherigen Regelungen des Sozialhilferechts orientieren wollte (vgl. BT-Drs. 15/1516, S. 11 f. und 53 zu B. Art. 1 § 11), der bereits von der Verwaltungsgerichtsbarkeit aufgestellte Grundsatz des Nachrangs staatlicher Fürsorge, wonach die Existenzsicherung der bedarfssteigernden Schuldentilgung vorzugehen hat und letztere daher zu unterlassen ist. Offene Schulden können folglich das berücksichtigungsfähige Einkommen grundsätzlich nicht mindern. Der Leistungsbegehrende muss dieses – vorbehaltlich ausdrücklich abweichender gesetzlicher Regelungen – auch dann für sich verwenden, wenn er sich dadurch außerstande setzt, anderweitige Verpflichtungen zu erfüllen (vgl. grundlegend BSG, Urt. v. 19.09.2008 - B 14/7b AS 10/07 R Rn. 25 f. - SozR 4-4200 § 11 Nr 18 m.w.N.; ferner: BSG, Urt. v. 30.09.2008 - B 4 AS 29/07 R Rn. 19 - BSGE 101, 291; BSG, Urt. v. 16.12.2008 - B 4 AS 70/07 R Rn. 28 - SozR 4-4200 § 11 Nr 19; BSG, Urt. v. 13.05.2009 - B 4 AS 29/08 R Rn. 13 - SozR 4-4200 § 11 Nr 22; BSG, Urt. v. 18.02.2010 - B 14 AS 76/08 R Rn. 21 - SozR 4-4200 § 11 Nr 27; BSG, Urt. v. 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R Rn. 29 - BSGE 108, 258; BSG, Urt. v. 23.08.2011 - B 14 AS 165/10 R Rn. 25 - SozR 4-4200 § 11 Nr 43; BSG, Urt. v. 20.12.2011 - B 4 AS 200/10 R Rn. 13; BSG, Urt. v. 29.11.2012 - B 14 AS 33/12 R Rn. 14 - BSGE 112, 229; BSG, Urt. v. 12.06.2013 - B 14 AS 73/12 R Rn. 24; BSG, Urt. v. 22.08.2013 - B 14 AS 1/13 R Rn. 31 - BSGE 114, 136; BSG, Urt. v. 12.12.2013 - B 14 AS 76/12 R Rn. 11; BSG, Urt. v. 20.02.2014 - B 14 AS 53/12 R Rn. 27 - SozR 4-4200 § 11b Nr 4; BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 10/14 R Rn. 32 f. - SozR 4-4200 § 11 Nr 70; BSG, Urt. v. 17.02.2016 - B 4 AS 17/15 R Rn. 32 - BSGE 120, 242; BSG, Urt. v. 12.10.2016 - B 4 AS 38/15 R Rn. 15; BSG, Urt. v. 08.02.2017 - B 14 AS 22/16 R Rn. 25; BSG, Urt. v. 19.03.2020 - B 4 AS 1/20 R Rn. 28 und 39). Die zitierte Rechtsprechung ist – soweit ersichtlich einhellig – von der obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 06.12.2018 - L 31 AS 402/18 NZB Rn. 18; LSG Stuttgart, Urt. v. 20.10.2020 - L 9 AS 785/20 Rn. 35 ff.; LSG Chemnitz, Urt. v. 10.11.2020 - L 8 AS 701/16 Rn. 26 ff.; LSG Chemnitz, Urt. v. 06.04.2023 - L 7 AS 629/20 Rn. 64 ff. m.w.N.) und der Literatur (vgl. Söhngen in: Schlegel/Voelzke, juris-PK-SGB II, 5. Aufl., § 11b Rn. 31 m.w.N., Stand 03.01.2025; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11b Rn. 110 m.w.N., Stand XII/2024) auch auf die Auslegung des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II übertragen worden. Eine explizite höchstrichterliche Entscheidung fehlte bislang. Zu § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 SGB II hat das BSG schon mehrfach entschieden, dass die Norm nur die Absetzung von durch die Erzielung des jeweiligen Einkommens kausal verursachten Ausgaben zulasse (vgl. BSG, Urt. v. 19.06.2012 - B 4 AS 163/11 R Rn. 19 - BSGE 111, 89; BSG, Urt. v. 15.06.2016 - B 4 AS 41/15 R Rn. 22 - SozR 4-4200 § 9 Nr 14; BSG, Urt. v. 19.03.2020 - B 4 AS 1/20 R Rn. 33). Ebenfalls der bisherigen Rechtsprechung des BSG entspricht, dass im Falle des Zusammentreffens von laufendem Erwerbseinkommen mit auf einen sechsmonatigen Verteilzeitraum aufzuteilendem einmaligem Erwerbseinkommen ein jeweils eigenständig zu ermittelnder Erwerbstätigenfreibetrag nach Maßgabe des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II abzusetzen ist, welcher wegen der uneingeschränkten Verweisung des § 11b Abs. 1 Satz 2 auf Satz 1 Nr. 6 SGB II sowie nach Sinn und Zweck der Norm auch in Bezug auf das einmalige Erwerbseinkommen in vollem Umfang zu veranschlagen ist, nicht etwa nur anteilig in Höhe dessen, was bei dem laufenden Erwerbseinkommen noch nicht „verbraucht“ wurde (vgl. BSG, Urt. v. 18.05.2022 - B 7/14 AS 9/21 R Rn. 30 - SozR 4-4200 § 41a Nr 5; BSG, Urt. v. 20.09.2023 - B 4 AS 6/22 R Rn. 26 - SozR 4-4200 § 41a Nr 8).
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Praxisrelevanz der besprochenen Entscheidung besteht vorrangig in der erstmaligen höchstrichterlichen Bestätigung der bisher nur obergerichtlichen Rechtsprechung (vgl. dazu unter C.), wonach Einkommensteuernachforderungen für Vorjahre nicht gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II vom Einkommen im Leistungsmonat absetzbar sind, sondern sonstigen Schulden gleichstehen, die grundsätzlich keine Hilfebedürftigkeit begründen. Dem ist zuzustimmen. Die Einkommensbereinigung gemäß § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2, 3, 4, 5, 7 und 8 SGB II soll gewährleisten, dass nur diejenigen Einnahmen bedarfsmindernd berücksichtigt werden, die der Leistungsbegehrende tatsächlich zur Sicherung seines Lebensunterhalts verwenden kann (sog. „bereite Mittel“). Einkommensteuernachforderungen für Vorjahre stehen dieser Verwendbarkeit aber ebenso wenig entgegen wie sonstige zum Zeitpunkt des Einnahmezuflusses vorhandene und davon unabhängige Verbindlichkeiten (vgl. dazu ebenfalls unter C.). Ihre Absetzung ist mithin nach Sinn und Zweck des § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB II nicht geboten. Dass der Leistungsbegehrende sie nicht zu tilgen vermag, wirkt sich auf die tatsächliche Deckung seiner existenzsichernden Bedarfe nicht aus und ist daher kein grundsicherungsrechtlich beachtlicher Gesichtspunkt. Bezüglich der Ausführungen des erkennenden Senats zur Berücksichtigung der Jahressonderzahlungen ist (wie auch schon unter B.) darauf hinzuweisen, dass diesen das bis zum 30.06.2023 geltende Recht, nämlich § 11 Abs. 2 Satz 3 SGB II in der a.F. durch Bekanntmachung vom 13.05.2011 i.V.m. § 11 Abs. 3 SGB II in der a.F. durch Art. 1 Nr. 8 Buchst. b des InsoAntrAussG/SGB2ÄndG9 vom 26.07.2016 zugrunde lag. Mit Wirkung vom 01.07.2023 müsste hingegen § 11 Abs. 2 und 3 SGB II i.d.F. durch Art. 1 Nr. 9 Buchst. b des Bürgergeld-Gesetzes vom 16.12.2022 (n.F.) zur Anwendung kommen. In § 11 Abs. 2 Satz 1 SGB II n.F. ist die Beschränkung auf laufende Einnahmen gestrichen worden, so dass zwischen laufenden und einmaligen Einnahmen nicht mehr differenziert wird. Die Vorschrift erfasst vielmehr jetzt sämtliche Einnahmen (auch Jahressonderzahlungen) und bestimmt, dass diese grundsätzlich nur noch im Zuflussmonat als Einkommen zu berücksichtigen sind. Bedarfsübersteigende Beträge werden im Folgemonat dem Vermögen zugeschlagen. Die Aufteilung auf einen sechsmonatigen Verteilzeitraum findet gemäß § 11 Abs. 3 SGB II n.F. lediglich noch bei Nachzahlungen statt, die nicht für den Zuflussmonat erbracht werden und durch die Berücksichtigung in diesem Monat den Leistungsanspruch entfallen lassen würden. Sofern es sich um Nachzahlungen von Erwerbseinkommen handelt (vgl. dazu Söhngen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB II, 5. Aufl., § 11 Rn. 90 m.w.N., Stand 03.01.2025; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, § 11 Rn. 489 m.w.N., Stand VI/2025), die mit laufendem Erwerbseinkommen zusammentreffen, bleibt es freilich bei der kumulativen Absetzbarkeit von Erwerbstätigenfreibeträgen i.S.d. § 11b Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 3 SGB II.
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Rn. 20 des Urteils: Das Begehren auf Anerkennung eines Mehrbedarfs i.S.d. § 21 SGB II ist kein neben dem Regelbedarf i.S.d. § 20 SGB II gesondert geltend zu machender, abtrennbarer Streitgegenstand (st. Rspr.; vgl. BSG, Urt. v. 12.12.2013 - B 4 AS 6/13 R Rn. 11 - BSGE 115, 77; zuletzt etwa: BSG, Urt. v. 26.01.2022 - B 4 AS 3/21 R Rn. 11 m.w.N. - SozR 4-4200 § 21 Nr 36; BSG, Urt. v. 27.09.2023 - B 7 AS 13/22 R Rn. 12 m.w.N. - SozR 4-4200 § 21 Nr 38). Rn. 25 f. des Urteils: Bei der Beurteilung, welche Tatsachen i.S.d. § 24 Abs. 1 SGB X entscheidungserheblich sind, ist auf die Rechtsansicht der Behörde abzustellen, selbst wenn diese unrichtig sein sollte. Deshalb ist unschädlich, wenn zu einer Aufhebung gemäß § 48 SGB X angehört wird, obwohl § 45 SGB X die richtige Rechtsgrundlage ist (st. Rspr., vgl. BSG, Urt. v. 29.11.2012 - B 14 AS 6/12 R Rn. 21 - BSGE 112, 221; BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 31/14 R Rn. 12 - SozR 4-4200 § 40 Nr 9; zuletzt etwa: BSG, Urt. v. 08.12.2020 - B 4 AS 46/20 R Rn. 20 m.w.N. - BSGE 131, 128). Die Frage nach möglicherweise strengeren Aufhebungsvoraussetzungen des § 45 SGB X gegenüber § 48 SGB X betrifft allein die materielle Rechtmäßigkeit des angefochtenen VA, nicht aber das formelle Verfahrensrecht, dem die Anhörungspflicht zuzuordnen ist. Rn. 23 f. des Urteils: Bei einer in die Zukunft reichenden Leistungsbewilligung können und müssen objektiv feststehende bzw. sicher zu erwartende Umstände (hier: regelmäßige Jahressonderzahlungen) bereits in die Entscheidung einbezogen werden. Bei prognostisch nicht sicherer Grundlage für eine abschließende Bewilligung sieht § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II die Möglichkeit einer vorläufigen Bewilligung vor. Wird hiervon nicht Gebrauch gemacht, sondern abschließend entschieden, so ist die Entscheidung jedenfalls aus diesem Grund bereits bei ihrem Erlass rechtswidrig i.S.d. § 45 SGB X (st. Rspr.; vgl. BSG, Urt. v. 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R Rn. 16 - BSGE 108, 258; zuletzt etwa: BSG, Urt. v. 24.06.2020 - B 4 AS 10/20 R Rn. 22 m.w.N. - SozR 4-1300 § 45 Nr 23; BSG, Urt. v. 14.12.2021 - B 14 AS 73/20 R Rn. 15 m.w.N. - SozR 4-4200 § 41a Nr 3). Rn. 27 des Urteils: Die §§ 45 und 48 SGB X richten sich auf dasselbe Ziel, nämlich die Aufhebung eines VA. Im Regelungsgefüge des SGB II ist zudem nach beiden Vorschriften eine gebundene Entscheidung vorgesehen (vgl. § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 SGB III). Bleibt die getroffene Regelung aber dieselbe, so ist das „Auswechseln“ der Rechtsgrundlagen durch das Gericht grundsätzlich zulässig (st. Rspr.; vgl. BSG, Urt. v. 21.06.2011 - B 4 AS 21/10 R Rn. 34 m.w.N.; zuletzt etwa: BSG, Urt. v. 08.12.2020 - B 4 AS 46/20 R Rn. 21 m.w.N. - BSGE 131, 128; BSG, Urt. v. 15.02.2023 - B 4 AS 2/22 R Rn. 18 m.w.N. - BSGE 135, 237). Eine unzutreffende Begründung des VA ist nach Maßgabe des § 41 Abs. 1 Nr. 2 SGB X unbeachtlich. Rn. 32 des Urteils: Nach der im Rechtskreis des SGB II anzuwendenden „modifizierten Zuflusstheorie“ ist vom tatsächlichen Zufluss der Einnahme auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (st. Rspr.; vgl. auch BSG, Urt. v. 30.07.2008 - B 14 AS 26/07 R Rn. 21 - SozR 4-4200 § 11 Nr 17; zuletzt etwa: BSG, Urt. v. 11.07.2024 - B 4 AS 14/23 R Rn. 19 - für BSGE und SozR 4 vorgesehen). Rn. 35 des Urteils: Das Recht der Grundsicherung ist vom (Kalender-)Monatsprinzip geprägt (st. Rspr.; grundlegend BSG, Urt. v. 09.04.2014 - B 14 AS 23/13 R Rn. 27 m.w.N. - SozR 4-4200 § 22 Nr 75; zuletzt etwa: BSG, Urt. v. 20.09.2023 - B 4 AS 6/22 R Rn. 19 m.w.N. - SozR 4-4200 § 41a Nr 8; BSG, Urt. v. 11.07.2024 - B 4 AS 14/23 R Rn. 32 m.w.N. - für BSGE und SozR 4 vorgesehen). Rn. 41 f. des Urteils: Der Berücksichtigung einer Einnahme als Einkommen steht nicht entgegen, wenn mit deren Zufluss durch Gutschrift ein Kontosoll zurückgeführt wurde. § 24 Abs. 4 Satz 2 SGB II sieht für diesen Fall allenfalls die Gewährung eines Darlehens vor (st. Rspr.; vgl. BSG, Urt. v. 29.04.2015 - B 14 AS 10/14 R Rn. 31 f. - SozR 4-4200 § 11 Nr 70; BSG, Urt. v. 20.02.2020 - B 14 AS 52/18 R Rn. 38 - SozR 4-4200 § 12 Nr 32).
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