Kapitalistisch tätige Vertragsärzte im NachbesetzungsverfahrenLeitsatz Bei einer Bewerbung eines MVZ um einen Vertragsarztsitz, welcher von Seiten des MVZ mit mehreren angestellten Ärzten besetzt werden soll, müssen die Auswahlkriterien von jedem der anzustellenden Ärzte erfüllt sein, um positiv berücksichtigt werden zu können. Die Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V greift auch dann, wenn zwar die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte bei einem Arzt liegt, dieser jedoch nicht in dem MVZ tätig ist, welches sich auf den Vertragsarztsitz bewirbt. - A.
Problemstellung Im Nachbesetzungsverfahren für einen Vertragsarztsitz in gesperrten Planungsbereichen nennt das Gesetz den Zulassungsgremien in § 103 SGB V – nicht abschließend und ungewichtet – Kriterien, die bei Auswahl des Praxisnachfolgers zu berücksichtigen sind, darunter die Dauer der Eintragung in die nach § 103 Abs. 5 Satz 1 SGB V von den Kassenärztlichen Vereinigungen zu führende Warteliste. Darin werden auf ihren Antrag in das Arztregister eingetragene Ärzte aufgenommen, die sich um einen Vertragsarztsitz bewerben. Dieses Kriterium ist zwar für die Qualifikation der Bewerber irrelevant, in der Praxis aber äußerst bedeutsam (und beliebt), weil es häufig das einzige ist, nach dem sich zwischen ansonsten als gleichwertig eingeschätzten Bewerbern – taggenau und ohne weitere Begründung – eine Rangfolge herstellen lässt. Konkurrieren im Nachbesetzungsverfahren ein Arzt, der zugelassen werden will, und ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ), das die Genehmigung zur Anstellung eines Arztes beantragt, wird wegen personengebundener Natur der Anstellungsgenehmigung auf die Wartelisteneintragung des anzustellenden Arztes abgehoben (vgl. Kaiser, Wandel der Freiberuflichkeit im Vertragsarztrecht, 2024, 276 f.). Das LSG Stuttgart hat entschieden, wessen Eintragung maßgeblich ist, wenn ein MVZ sich auf einen vollen Versorgungsauftrag mit zwei jeweils in Teilzeit anzustellenden Ärztinnen bewirbt.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Klägerin ist Trägergesellschaft von mindestens 27 Medizinischen Versorgungszentren in denen mehr als 118 Augenärzte an über 70 Standorten tätig sind. Alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Klägerin ist die Vertragsärztin E., die nicht in einem der MVZ, sondern mit jeweils hälftigem Versorgungsauftrag an zwei Standorten einer KV-übergreifenden BAG tätig ist. Die Klägerin plante ein weiteres MVZ mit zwei für je 20 Wochenstunden anzustellenden Ärztinnen G. und Z. Dazu beantragte sie im Nachbesetzungsverfahren für einen Vertragsarztsitz die Zulassung des MVZ und Anstellungsgenehmigungen für G. und Z., beide bereits als angestellte Ärztinnen einer BAG tätig. Der Zulassungsausschuss für Ärzte (ZA) lehnte diese Anträge ab, wählte als Praxisnachfolger einen Mitbewerber, den bis dahin in einem MVZ angestellten Arzt Ö., aus und ließ ihn zur vertragsärztlichen Versorgung zu. G., Z. und Ö. seien nach allen in § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V genannten und hier in Betracht zu ziehenden Auswahlkriterien gleichrangig. Der verbleibende Gesichtspunkt „Dauer der Eintragung in die Warteliste“ (§ 103 Abs. 5 Satz 3 SGB V) gelte vorrangig für Ö., weil er selbst eine Zulassung anstrebe, während nicht G. und Z., sondern die Klägerin mit dem zuzulassenden MVZ sich auf die ausgeschriebene Vertragsarztpraxis bewerbe. Ö. sei seit 16.03.2018 in die Warteliste eingetragen, G. seit 20.10.2004, Z. nicht erneut, nachdem sie zum 31.07.2017 auf ihre Zulassung verzichtet hatte. Die frühere Eintragung der G. verliere an Bedeutung, weil sie im Planungsbereich bereits als Angestellte vertragsärztlich tätig sei und dies bleibe, Ö. dagegen aus einem Angestelltenverhältnis in die Niederlassung wechseln wolle. Zudem seien Medizinische Versorgungszentren nach § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V nur dann gleichrangige Bewerber, wenn die Mehrheit der Geschäftsanteile bei Ärzten liege, die im MVZ tätig seien. Die Alleingesellschafterin der Klägerin E. sei zwar Vertragsärztin, solle aber im geplanten MVZ nicht tätig werden. Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, der ZA habe Medizinische Versorgungszentren mit angestellten Ärzten gegenüber freiberuflich tätigen Ärzten rechtsgrundlos und unter Verstoß gegen Art. 12 GG schlechtergestellt. § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V lasse sich nicht anwenden, da Geschäftsanteile und Stimmrechte der Klägerin mehrheitlich bei der Vertragsärztin E. lägen. Der beklagte Berufsausübungsgemeinschaft (BA) wies den Widerspruch zurück. Bewerbe sich ein MVZ im Nachbesetzungsverfahren mit mehreren anzustellenden Ärztinnen, sei auf diejenige von ihnen mit der niedrigsten Qualifikation abzustellen, denn die Behandlungsqualität in der fortgeführten Praxis hänge insgesamt von allen dort tätigen Ärzten ab. Beim Wartezeitkriterium sei Ö. danach geringfügig im Vorteil, weil G. zwar länger, Z. aber überhaupt nicht eingetragen sei. Entscheidend sei jedoch der in § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V angeordnete Nachrang der Klägerin, der nur bei tatsächlicher Tätigkeit der E. als Vertragsärztin im geplanten MVZ entfallen wäre; deren Stellung als Alleingesellschafterin der Trägergesellschaft genüge nicht. Das Sozialgericht wies die Klage ab. Zu Recht habe der Beklagte Ö. bei der Wartezeit geringfügig im Vorteil gesehen. Bei Bewerbungen eines MVZ mit mehreren Ärztinnen seien die Auswahlkriterien für jeden Arzt/jede Ärztin getrennt zu prüfen. Abzustellen sei im Hinblick auf die Qualität vertragsärztlicher Versorgung auf die Ärztin, die das jeweilige Kriterium „am wenigsten“ erfülle. Einen Vorsprung habe Ö. auch, weil die Klägerin nach § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V nur nachrangig zu berücksichtigen sei. Daran ändere nichts, dass die Vertragsärztin E. Alleingesellschafterin der Klägerin sei; es genüge, dass E. im geplanten MVZ nicht auch vertragsärztlich tätig sein solle. Das LSG Stuttgart hat die Berufung der Klägerin aus den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung zurückgewiesen und wiederholt, dass die Auswahlkriterien bei Bewerbungen von Medizinischen Versorgungszentren mit mehreren anzustellenden Ärzten sich nur so berücksichtigen ließen, wie sie bei allen dieser Ärzte ausgeprägt seien. Andernfalls könnten in der Bewerberkonkurrenz Gesichtspunkte zum Vorteil eines Arztes gewertet werden, bei dem sie gar nicht vorliegen. Einen Vorsprung vor der Klägerin habe Ö. auch wegen § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V. Für den dort angeordneten Nachrang komme es auf die – hier fehlende – statusrechtliche Einbindung eines Vertragsarztes in das Bewerber-MVZ an, die bloße Eigenschaft der dort vertragsärztlich nicht tätigen E. als Alleingesellschafterin und Geschäftsführerin der Klägerin genüge nach dem klaren Wortlaut der Vorschrift nicht.
- C.
Kontext der Entscheidung Die Zulassungsgremien haben, von den Gerichten bestätigt, nach den im Gesetz genannten Kriterien unter Ö. und den von der Klägerin anzustellenden Ärztinnen G. und Z. ausgewählt, obwohl die Klägerin vom Wettbewerb um den nachzubesetzenden Vertragsarztsitz von vornherein ausgeschlossen war, weil sie unter die Nachrangregel des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V fällt. Danach lässt sich der Zuschlag für einen Vertragsarztsitz einem MVZ, in dem die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte nicht bei Ärzten liegt, die dort nicht als Vertragsärzte tätig sind, nur dann erteilen, wenn es – anders als hier – keine anderen geeigneten Bewerber gibt, d.h. weder ein nichtnachrangiges MVZ noch einen Vertragsarzt (BSG, Urt. v. 25.10.2023 - B 6 KA 26/22 R Rn. 18). Das haben das Sozial- und das Landessozialgericht unter Rückgriff auf die Gesetzesgeschichte und die Absicht des Gesetzgebers, freiberuflich tätige Ärzte vor Verdrängung durch Medizinische Versorgungszentren zu schützen, nochmals ausführlich begründet. Die Ausschlussregelung gilt danach für investorengetragene Medizinische Versorgungszentren auch dann, wenn Investor ein niedergelassener Vertragsarzt ist, der sich damit in der vertragsärztlichen Versorgung zusätzlich kapitalistisch engagiert (so in einem Fall vergleichbar umfangreicher kapitalistischer Betätigung schon SG Nürnberg, Beschl. v. 18.12.2024 - S 13 KA 7/24 ER Rn. 77 f.; zust. Anm. Wagner, ASR 2025, 15). Bei Gelegenheit der von den Zulassungsgremien gleichwohl getroffenen Auswahlentscheidung haben Sozial- und Landessozialgericht sich zum Kriterium „Dauer der Eintragung in die Warteliste“ positioniert. Nach § 103 Abs. 4c Satz 2 SGB V gilt dieser Gesichtspunkt, wie die übrigen in Absatz 4 genannten, bei Bewerbung eines MVZs mit einem angestellten Arzt „entsprechend“. Dazu wirft der Fall zwei Fragen auf: Gilt die Wartezeit des (anzustellenden) Arztes, obwohl nicht er, sondern sein Arbeitgeber die Vertragsarztpraxis übernehmen will? Müssen alle anzustellenden Ärzte mit denen sich ein MVZ bewirbt, den Konkurrenten vorzuziehen sein? In der Literatur wird vertreten, dass sich nur die Wartezeit solcher Bewerber berücksichtigen lasse, die den Wusch haben in eigener freier Praxis gemäß § 32 Abs. 1 Ärzte-ZV an der vertragsärztlichen Versorgung teilzunehmen. Denn in die Warteliste sei nach § 103 Abs. 5 Satz 2 SGB V nur aufzunehmen, wer sich um einen Vertragsarztsitz bewerbe. Das sei bei Ärzten, die in einem MVZ tätig werden wollen, nicht der Fall. Folglich seien sie regelmäßig nicht in eine Warteliste eingetragen. Deshalb sei es zweckwidrig, in Nachbesetzungsverfahren, an denen – auch – ein MVZ teilnimmt, auf das Auswahlkriterium Dauer der Eintragung des beim MVZ anzustellenden Arztes in die Warteliste zurückzugreifen. Daher wird gefordert, dass sich Medizinische Versorgungszentren – jedenfalls unter Benennung eines anzustellenden Arztes – in die Warteliste eintragen lassen können (Gerdts in: Festschrift 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Medizinrecht im DAV, 2018, S. 3, 16; vgl. auch Kremer/Wittmann, Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 4. Aufl. 2021, Rn. 651). Dem dürfte nicht zu folgen sein. Nach Literatur und Rechtsprechung können sich, über den engen Wortlaut des § 103 Abs. 5 Satz 2 SGB V hinaus, auch Ärzte in die Warteliste eintragen lassen, die sich anstellen lassen wollen (Geiger in: Hauck/Noftz, SGB V, § 103 Rn. 114; LSG Celle-Bremen, Urt. v. 24.02.2021 - L 3 KA 16/19 Rn. 84 ff.). Dementsprechend wird in der Praxis informiert (vgl. KV Hessen: https://www.kvhessen.de/praxis-management/warteliste, zuletzt abgerufen am 01.09.2025). So zu verfahren entspricht der statusrechtlichen Annäherung von angestellten Ärzten und Vertragsärzten, die mit Zulassung oder Anstellungsgenehmigung gleichermaßen die Berechtigung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung anstreben (BSG, Urt. v. 13.05.2020 - B 6 KA 11/19 R Rn. 31). Zu Recht fordern Sozial- und Landessozialgericht, dass von mehreren Ärzten, mit denen sich ein MVZ im Nachbesetzungsverfahren bewirbt, ein jeder den Konkurrenten vorzuziehen sein muss. Sollte unter sonst gleichgeeigneten Bewerbern das Wartezeitkriterium entscheiden, lässt sich das aber, entgegen dem Sozialgericht, nicht mit der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung in der fortzuführenden Praxis begründen. Sie wird zwar von jedem der gemeinsam anzustellenden Ärzte geprägt. Ob überhaupt und ggf. wie lange ein Arzt in die Warteliste eingetragen ist, sagt aber über seine Qualifikation nichts aus (Simic, Die Auswahlentscheidung der Zulassungsgremien bei der Praxisnachfolge, 2021, S. 105). Die Entscheidung zeigt exemplarisch, die Zufallsabhängigkeit des ohnehin aussageschwachen Kriteriums Wartezeit. Sowohl der Bewerber Ö. als auch die im MVZ anzustellenden Ärztinnen G. und Z. waren bereits als angestellte Ärzte tätig. Ö. und G. hatten gleichwohl ihren Wartelisteneintrag aufrechterhalten, während die Z., offenbar um in einer BAG als angestellte Ärztin tätig zu werden, zum 31.07.2017 auf ihre Zulassung verzichtet hatte, ohne sich im Anschluss daran, aus ihrer Sicht konsequent, als „Ärztin, die sich um einen Vertragsarztsitz bewirbt“, in die Warteliste aufnehmen zu lassen. Eine nach herrschender Praxis gleichwohl mögliche „fremdnützige“, einen künftigen Arbeitgeber begünstigende Eintragung hatte sie offenbar nicht im Blick.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Wer vorhat, als freiberuflicher oder als angestellter Arzt vertragsärztlich tätig zu werden, sollte sich nicht nur so früh wie möglich in die Warteliste seiner Wunsch-Planungsbereiche aufnehmen lassen, sondern daran auch bei hälftiger Zulassung, Job-Sharing-Zulassung und ebenso als Angestellter eines Arztes oder eines MVZs festhalten. Die Eintragung bleibt wirksam (Geiger in: Hauck/Noftz, SGB V, § 103 Rn. 115) und verschafft über das häufig ausschlaggebende Wartezeitkriterium Vorteile im Praxisnachfolgeverfahren und im Zulassungsverfahren nach Aufhebung von Zulassungsbeschränkungen. Das gilt für den eingetragenen Arzt und dazu für Ärzte oder Medizinische Versorgungszentren, die sich mit ihm als Angestellten bewerben.
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