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Anmerkung zu:BFH 10. Senat, Urteil vom 27.11.2024 - X R 1/23
Autor:Dieter Steinhauff, RiBFH a.D.
Erscheinungsdatum:14.04.2025
Quelle:juris Logo
Normen:§ 173 AO 1977, § 35b GewStG, § 140 AO 1977, § 141 AO 1977, § 118 FGO, § 129 AO 1977, Art 2 GG, Art 20 GG, Art 3 GG, § 4 EStG, § 177 AO 1977
Fundstelle:jurisPR-SteuerR 15/2025 Anm. 1
Herausgeber:Prof. Dr. Peter Fischer, Vors. RiBFH a.D.
Prof. Dr. Franz Dötsch, Vors. RiBFH a.D.
Zitiervorschlag:Steinhauff, jurisPR-SteuerR 15/2025 Anm. 1 Zitiervorschlag

Änderung der Gewinnermittlungsart



Leitsätze

1. Die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich ist der gesetzessystematische Regelfall. Die Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung kommt nur bei Erfüllung der in § 4 Abs. 3 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes genannten Voraussetzungen in Betracht.
2. Ein nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger hat sein Wahlrecht auf Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich wirksam ausgeübt, wenn er eine Eröffnungsbilanz aufstellt, eine kaufmännische Buchführung einrichtet und aufgrund von Bestandsaufnahmen einen Abschluss macht. Der Abschluss ist in dem Zeitpunkt erstellt, in dem der Steuerpflichtige ihn fertiggestellt hat und objektiv erkennbar als endgültig ansieht.
3. Der Steuerpflichtige bleibt für den betreffenden Gewinnermittlungszeitraum an die einmal getroffene Wahl gebunden, es sei denn, er legt eine Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse und einen vernünftigen wirtschaftlichen Grund für den Wechsel dar. 4. § 177 Abs. 1 der Abgabenordnung enthält keine selbstständige Rechtfertigung, die getroffene Wahl der Gewinnermittlungsart zu ändern.



A.
Problemstellung
Mit der Besprechungsentscheidung führt der BFH eine ständige Rechtsprechung zur wirksamen Ausübung des Wahlrechts für eine bestimmte Gewinnermittlungsart und zur Möglichkeit einer Änderung der getroffenen Wahl fort.


B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Beteiligten streiten über die Zulässigkeit des Wechsels der Gewinnermittlungsart nach einer Außenprüfung.
Der Kläger handelte mit X und Y. Bis zum Jahr 2011 ermittelte er seinen Gewinn durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung. Im Jahr 2012 stellte er die Gewinnermittlung auf den Betriebsvermögensvergleich um. Für das Streitjahr 2016 reichte der Kläger bei dem beklagten FA zusammen mit seiner Erklärung über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und der Gewerbesteuererklärung eine auf den 31.12.2016 erstellte Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung ein. Der danach ermittelte Gewinn aus Gewerbebetrieb betrug 20.828,22 Euro.
Das FA folgte der Erklärung. Es stellte Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 20.828,22 Euro gesondert fest und setzte einen Gewerbesteuermessbetrag i.H.v. 0 Euro fest. Beide Bescheide standen nicht unter dem Vorbehalt der Nachprüfung. Einsprüche gegen die Bescheide legte der Kläger nicht ein.
Im Januar 2019 fand eine Außenprüfung bei dem Kläger statt, die auch das Streitjahr umfasste. Infolgedessen änderte das FA den Bescheid über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO und stellte einen Gewinn für das Streitjahr i.H.v. 33.472,70 Euro fest. Den Gewerbesteuermessbescheid änderte das FA nach § 35b Abs. 1 Satz 1 GewStG und setzte einen Gewerbesteuermessbetrag i.H.v. 311 Euro fest.
Der Kläger reichte dagegen Einspruch ein und legte zur Begründung eine geänderte Gewinnermittlung in Form einer Einnahmen-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG für 2016 nebst Übergangsgewinnermittlung auf den 01.01.2016 vor. Aus dieser ergab sich ein Gewinn aus Gewerbebetrieb i.H.v. 21.809,24 Euro.
Das FA wies die Einsprüche zurück. Die dagegen erhobene Klage hatte Erfolg (FG Gotha, Urt. v. 31.08.2022 - 4 K 599/21 - EFG 2024, 1020).
Mit seiner Revision rügt das FA die Verletzung von § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG und § 177 AO. Der BFH hob auf die zulässige und begründete Revision des FA das angefochtene Urteil auf und wies die Klage ab. Das FG habe zu Unrecht entschieden, dass der Kläger seine Gewinnermittlungsart für das Streitjahr habe ändern können.
Der Kläger habe im Streitjahr die Voraussetzungen für eine Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung nicht mehr erfüllt, weil er durch die Aufstellung des Jahresabschlusses sein Wahlrecht bereits ausgeübt gehabt habe und daran auch gebunden sei. Aus § 177 Abs. 1 AO lasse sich kein anderes Ergebnis herleiten. Übergeordnete verfassungsrechtliche Prinzipien geböten es ebenfalls nicht, den erneuten Wechsel der Gewinnermittlungsart zuzulassen.
Gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG „ist“ Gewinn der Unterschiedsbetrag zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres, vermehrt um den Wert der Entnahmen und vermindert um den Wert der Einlagen.
Davon abweichend „können“ Steuerpflichtige, die nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, und die auch keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen, als Gewinn den Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen (§ 4 Abs. 3 Satz 1 EStG).
Diese gesetzlichen Regelungen zeigten, dass die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich der gesetzessystematische Regelfall sei. Die Gewinnermittlung durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung komme nur bei Erfüllung der im Gesetz bestimmten Voraussetzungen in Betracht (BFH, Urt. v. 20.03.2013 - X R 15/11 Rn. 23 m.w.N. - BFH/NV 2013, 1548).
Der Kläger habe sein Wahlrecht, den Gewinn für das Streitjahr durch Betriebsvermögensvergleich zu ermitteln, ausgeübt und erfülle deshalb die Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG nicht mehr.
Zwischen den Beteiligten sei unstreitig, dass der Kläger im Streitjahr gesetzlich (§§ 140, 141 AO) nicht verpflichtet gewesen sei, Bücher zu führen und Aufzeichnungen zu machen.
Der Kläger habe nach den bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) seinen Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich ermittelt, müsse also eine Eröffnungsbilanz erstellt haben. Zwischen den Beteiligten sei auch nicht im Streit, dass er eine ordnungsgemäße Buchführung eingerichtet habe. Schließlich habe er für das Streitjahr 2016 einen Jahresabschluss aufgestellt, den er zusammen mit seinen Erklärungen über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen beziehungsweise Gewerbesteuer dem FA vorgelegt habe.
Ungeachtet der Frage, was daraus folgen könnte (dazu etwa BFH, Urt. v. 21.07.2009 - X R 46/08 - BFH/NV 2010, 186, unter II.3.a), bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass bis zum Zeitpunkt der Abgabe der Erklärungen die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich nicht dem tatsächlichen Willen des Klägers entsprochen hätte. Der Kläger habe die Gewinnermittlung der Vorjahre fortgesetzt.
Der Kläger sei an das von ihm wirksam ausgeübte Wahlrecht gebunden.
Der Steuerpflichtige bleibe – aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung – nach einem Wechsel der Gewinnermittlungsart grundsätzlich für drei Wirtschaftsjahre an diese Wahl gebunden; nur bei Vorliegen eines besonderen Grundes könne er vor Ablauf dieser Frist wieder zurückwechseln. Lege der Steuerpflichtige die Änderung der wirtschaftlichen Verhältnisse und einen vernünftigen wirtschaftlichen Grund für den erneuten Wechsel der Gewinnermittlungsart dar, so könne sogar ein mehrfacher Wechsel der Gewinnermittlungsart auf den gleichen Zeitpunkt zuzulassen sein (BFH, Urt. v. 09.11.2000 - IV R 18/00 - BStBl II 2001, 102, unter 2.c bb und BFH, Urt. v. 02.06.2016 - IV R 39/13 Rn. 27 - BStBl II 2017, 154).
Gründe für einen Wechsel der Gewinnermittlungsart auf denselben Stichtag könnten etwa Besonderheiten bei einem Umwandlungsvorgang sein (BFH, Urt. v. 05.04.1984 - IV R 88/80 - BStBl II 1984, 518, unter 2.b). Die schlichte Unkenntnis aller mit der Ausübung des Wahlrechts verbundenen steuerlichen Folgen berühre dagegen nicht die Wirksamkeit der Wahl einer Gewinnermittlungsart (BFH, Urt. v. 29.08.1985 - IV R 111/83 - BFH/NV 1986, 158, unter 3.; BFH, Urt. v. 02.03.2006 - IV R 32/04 - BFH/NV 2006, 1457, unter II.2.a aa; BFH, Urt. v. 19.03.2009 - IV R 57/07 - BStBl II 2009, 659, unter II.3.a). Ein Irrtum über die steuerlichen Folgen der gewählten Gewinnermittlungsart begründe daher nicht die Möglichkeit, sie zu ändern (BFH, Urt. v. 02.06.2016 - IV R 39/13 Rn. 29 - BStBl II 2017, 154).
Nach diesen Maßstäben sei dem Kläger die Änderung der Wahlrechtsausübung nicht mehr möglich gewesen.
Zwar hat das FG zu Recht nicht in Frage gestellt, dass der Kläger grundsätzlich berechtigt gewesen wäre, für das Streitjahr vom Betriebsvermögensvergleich der Vorjahre zur Einnahmen-Überschuss-Rechnung überzugehen. Er habe seinen Gewinn für einen angemessenen Zeitraum nach der zuvor selbst gewählten Gewinnermittlungsmethode – hier seit 2012 und damit für vier Jahre – ermittelt, so dass der Wechsel der Gewinnermittlungsart für das Streitjahr nicht als beliebiges Hin- und Herwechseln anzusehen gewesen wäre.
Jedoch lägen die Voraussetzungen für einen Wechsel der Gewinnermittlungsart auf das Streitjahr 2016 nicht vor. Der Kläger habe keinen vernünftigen wirtschaftlichen Grund dargelegt, der es rechtfertigen könnte, die einmal gewählte Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich für dasselbe Jahr wieder zu ändern. Allein der Umstand, dass der Kläger durch den Wechsel zur Einnahmen-Überschuss-Rechnung eine Gewinnerhöhung infolge der Außenprüfung habe „glätten“ wollen, reiche hierfür nicht aus. Damit hätten sich nicht die wirtschaftlichen Verhältnisse geändert. Der Kläger sei vielmehr einem Irrtum über die steuerlichen Folgen der gewählten Gewinnermittlungsart unterlegen gewesen, der die Änderungsmöglichkeit nicht eröffne. Zu den steuerlichen Folgen gehörten auch solche, die erst anlässlich späterer Vorgänge, etwa einer Außenprüfung, sichtbar würden.
Anders als das FG meine, lasse sich aus § 177 Abs. 1 AO kein anderes Ergebnis herleiten. Lägen die Voraussetzungen für die Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheides zuungunsten des Steuerpflichtigen vor, so seien gemäß § 177 Abs. 1 AO, soweit die Änderung reiche, zugunsten und zuungunsten des Steuerpflichtigen solche materiellen Fehler zu berichtigen, die nicht Anlass der Aufhebung oder Änderung seien. Ein solcher Fehler liege nicht vor.
Der Begriff des materiellen Fehlers umfasse nach § 177 Abs. 3 AO alle Fehler einschließlich offenbarer Unrichtigkeiten i.S.d. § 129 AO, die zur Festsetzung einer Steuer führten, die von der kraft Gesetzes entstandenen Steuer abweiche. Unter den Fehlerbegriff des § 177 AO Falle jede objektive Unrichtigkeit des aufzuhebenden oder abzuändernden Bescheides. Rechtsfehlerhaft in diesem Sinne sei ein Bescheid nicht nur, wenn geltendes Recht unrichtig angewendet worden sei, sondern auch dann, wenn der Steuerfestsetzung ein Sachverhalt zugrunde gelegt worden sei, der sich als unrichtig erweise (BFH, Urt. v. 18.12.1991 - X R 38/90 - BStBl II 1992, 504, unter 3.b m.w.N.; BFH, Urt. v. 30.10.2019 - IV R 59/16 Rn. 21 - BStBl II 2020, 147, dazu Reddig, jurisPR-SteuerR 10/2020 Anm. 4).
Die Bescheide über die gesonderte Feststellung von Besteuerungsgrundlagen und über den Gewerbesteuermessbetrag seien hinsichtlich der Ermittlung des Gewinns aus Gewerbebetrieb durch Betriebsvermögensvergleich nicht fehlerhaft. Sie basierten auf den Steuererklärungen des Klägers, in denen er in zulässiger Weise von seinem Recht zur Wahl der Gewinnermittlung Gebrauch gemacht habe, und setzten diese zutreffend und damit fehlerfrei um. Eine selbstständige Rechtfertigung, die getroffene Wahl zu ändern, enthalte § 177 Abs. 1 AO nicht (vgl. BFH, Urt. v. 09.12.2015 - X R 56/13 Rn. 44 - BStBl II 2016, 967). Die Bescheide seien nicht unrichtig, sondern lediglich ungünstig für den Kläger.
Verfassungsrechtliche Gründe geböten es ebenfalls nicht, den Wechsel der Gewinnermittlungsart im Wege einer verfassungskonformen Auslegung von § 177 AO zu ermöglichen.
Weder seien hier das Übermaßverbot, das aus Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip in Art. 20 Abs. 3 GG folge (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.07.2021 - 1 BvR 2237/14, 1 BvR 2422/17 Rn. 96, 117, 223 - BVerfGE 158, 282), noch der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG, der im Steuerrecht durch die Gebote der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und der Folgerichtigkeit ausgestaltet werde (BVerfG, Beschl. v. 06.07.2010 - 2 BvL 13/09 Rn. 36 m.w.N. - BVerfGE 126, 268 = BStBl II 2011, 318), berührt. Der Kläger habe die Art der Gewinnermittlung für sein Einzelunternehmen in seiner Steuererklärung selbst gewählt. Dass das Ergebnis dieser Wahl seiner Besteuerung zugrunde gelegt werden würde, war dem Kläger bewusst. Er habe nicht vorgetragen und es ist auch nicht aus den Akten ersichtlich, dass die von ihm getroffene Entscheidung zu einer existenzvernichtenden Belastung geführt und deshalb ein Wechsel der Gewinnermittlungsart hätte zugelassen werden müssen.
Anders als das FG sehe der Senat auch keine Ungleichbehandlung zwischen formell bestandskräftigen und noch offenen Steuerbescheiden. Unabhängig vom Eintritt der formellen Bestandskraft der Steuerfestsetzung kann das Recht zur Wahl der Gewinnermittlungsart grundsätzlich nur einmal ausgeübt werden.


C.
Kontext der Entscheidung
I. § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG fordert zusätzlich zur fehlenden Buchführungs- und Aufzeichnungspflicht, dass der Steuerpflichtige tatsächlich keine Bücher führt und keine Abschlüsse macht. Führt er hingegen ohne gesetzliche Verpflichtung freiwillig Bücher und macht er Abschlüsse, sind die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG nicht mehr erfüllt. Aufgrund der größeren Genauigkeit der Buchführung ist in diesem Fall der Gewinn durch Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu ermitteln (BFH, Urt. v. 24.11.1959 - I 47/58 U - BFHE 70, 499 = BStBl III 1960, 188). Das gilt selbst dann, wenn die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist (BFH, Urt. v. 26.11.1964 - IV 147/64 - HFR 1966, 113, unter 2.; BFH, Urt. v. 20.04.2021 - IV R 3/20 Rn. 57 - BStBl II 2023, 703, dazu Oellerich, jurisPR-SteuerR 22/2022 Anm. 1 und BFH, Urt. v. 18.01.2023 - I R 48/19 Rn 17 - BFH/NV 2023, 814).
II. Maßgeblich für die Ausübung des Wahlrechts der Gewinnermittlungsart ist die tatsächliche Handhabung der Gewinnermittlung (st.Rspr., vgl. BFH, Urt. v. 02.06.2016 - IV R 39/13 Rn. 19 m.w.N. - BStBl II 2017, 154, dazu Pfützenreuter, jurisPR-SteuerR 44/2016 Anm. 2).
III. Ein nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger hat sein Wahlrecht auf Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich wirksam ausgeübt, wenn er eine Eröffnungsbilanz aufstellt, eine kaufmännische Buchführung einrichtet und aufgrund von Bestandsaufnahmen einen Abschluss macht (BFH, Urt. v. 19.03.2009 - IV R 57/07 - BStBl II 2009, 659, unter II.2.b aa; BFH, Urt. v. 21.07.2009 - X R 46/08 - BFH/NV 2010, 186, unter II.3.b; BFH, Urt. v. 05.11.2015 - III R 13/13 Rn. 16 - BStBl II 2016, 468 und BFH, Urt. v. 02.06.2016 - IV R 39/13 Rn. 19 - BStBl II 2017, 154). Die Einnahmen-Überschuss-Rechnung beziehungsweise der Betriebsvermögensvergleich ist in dem Zeitpunkt erstellt, in dem der Steuerpflichtige sie beziehungsweise ihn fertiggestellt hat und objektiv erkennbar als endgültig ansieht. Beweisanzeichen dafür kann sein, dass er die Gewinnermittlung durch Übersendung an das FA in den Rechtsverkehr begibt (vgl. BFH, Urt. v. 20.12.2012 - III R 33/12 Rn. 20 - BStBl II 2013, 1035; BFH, Urt. v. 02.06.2016 - IV R 39/13 Rn. 19 - BStBl II 2017, 154; BFH, Urt. v. 20.04.2021 - IV R 3/20 Rn. 60 - BStBl II 2023, 703; BFH, Urt. v. 20.04.2021 - IV R 20/17 Rn. 59 - BFH/NV 2021, 1191 und BFH, Urt. v. 18.01.2023 - I R 48/19 Rn. 17 - BFH/NV 2023, 814).
IV. Die frühere Rechtsprechung, der zufolge das Wahlrecht bereits zu Beginn des Gewinnermittlungszeitraums ausgeübt werden musste und nur die Mitteilung beziehungsweise Offenlegung einer bereits getroffenen Wahl im Klageverfahren noch nachgeholt werden konnte, hat der BFH zwischenzeitlich aufgegeben (BFH, Urt. v. 19.03.2009 - IV R 57/07 - BStBl II 2009, 659, unter II.5.; BFH, Urt. v. 20.03.2013 - X R 15/11 Rn. 24 m.w.N. - BFH/NV 2013, 1548).
V. Nach der Erstellung des Jahresabschlusses kommt folglich die Wahl der Einnahmen-Überschuss-Rechnung grundsätzlich nicht mehr in Betracht (BFH, Urt. v. 19.10.2005 - XI R 4/04 - BStBl II 2006, 509, unter II.1.; BFH, Urt. v. 19.03.2009 - IV R 57/07 - BStBl II 2009, 659, unter II.3.b; BFH, Urt. v. 21.07.2009 - X R 46/08 - BFH/NV 2010, 186, unter II.3.c und BFH, Urt. v. 20.04.2021 - IV R 3/20 Rn. 60 - BStBl II 2023, 703).
VI. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH kann das Gewinnermittlungswahlrecht nicht buchführungspflichtiger Steuerpflichtiger zwar grundsätzlich unbefristet ausgeübt werden (BFH, Urt. v. 19.10.2005 - XI R 4/04 - BStBl II 2006, 509, unter II.1., dazu P. Fischer, jurisPR-SteuerR 3/2006 Anm. 2 und BFH, Urt. v. 05.11.2015 - III R 13/13 Rn. 20 - BStBl II 2016, 468, dazu Selder, jurisPR-SteuerR 23/2016 Anm. 3). Diese Möglichkeit wird jedoch in mehrfacher Hinsicht beschränkt.
VII. Die Ausübung des Wahlrechts wird in formeller Hinsicht durch die Bestandskraft der betreffenden Bescheide und in materieller Hinsicht durch die jeweiligen Voraussetzungen des Gewinnermittlungswahlrechts begrenzt, im Falle des Wechsels zur Einnahmen-Überschuss-Rechnung durch § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG (BFH, Urt. v. 19.10.2005 - XI R 4/04 - BStBl II 2006, 509, unter II.1.; BFH, Urt. v. 19.03.2009 - IV R 57/07 - BStBl II 2009, 659, unter II.3.c und BFH, Urt. v. 21.07.2009 - X R 46/08 - BFH/NV 2010, 186, unter II.3.c). Hat der Steuerpflichtige einmal die Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich gewählt, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG aus den genannten Gründen nicht mehr vor. Die einmal getroffene Wahl der Gewinnermittlungsart ist deshalb – anders als bei anderen steuerlichen Wahlrechten (dazu BFH, Urt. v. 09.12.2015 - X R 56/13 - BStBl II 2016, 967, dazu Steinhauff, jurisPR-SteuerR 17/2016 Anm. 1) – grundsätzlich nachträglich nicht mehr abänderbar (BFH, Urt. v. 29.08.1985 - IV R 111/83 - BFH/NV 1986, 158, unter 2.b; BFH, Urt. v. 31.08.1994 - X R 110/90 - BFH/NV 1995, 390, unter II.2.b; BFH, Urt. v. 08.10.2008 - VIII R 74/05 - BStBl II 2009, 238, unter II.B.b; BFH, Urt. v. 19.03.2009 - IV R 57/07 - BStBl II 2009, 659, unter II.3.b und BFH, Urt. v. 02.06.2016 - IV R 39/13 Rn. 26 - BStBl II 2017, 154).
In Ausnahmefällen hat die Rechtsprechung jedoch einen solchen Wechsel zugelassen und dabei an die Grundsätze angeknüpft, die für den Wechsel der Gewinnermittlungsart in aufeinanderfolgenden Jahren gelten.


D.
Auswirkungen für die Praxis
Der BFH bestätigt seine gefestigte Rechtsprechung zur Wahl der Gewinnermittlungsart, zur Ausübung des Wahlrechts und zur Bindung an die einmal wirksam getroffene Wahl. Zu Recht verneint er eine Änderungsbefugnis in Anwendung des § 177 Abs. 1 AO. Ein Irrtum über die steuerlichen Folgen der gewählten Gewinnermittlungsart begründet nicht die Möglichkeit, sie zu ändern.



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