Erforderlichkeit eines gerichtlichen Antrags auf Aussetzung der Vollziehung für einen Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen BilligkeitsgründenOrientierungssätze zur Anmerkung 1. Ob der Steuerpflichtige einen Anspruch auf den Erlass von Säumniszuschlägen hat, weil er alles Erforderliche getan hat, um die - tatsächlich nicht erwirkte - Aussetzung der Vollziehung (AdV) zu erreichen, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab. Das gilt auch für die Frage, ob er einen Antrag auf AdV beim Finanzgericht hätte stellen müssen. 2. Wird ein Antrag auf AdV durch das Finanzamt abgelehnt, ist ein zusätzlicher AdV-Antrag beim Finanzgericht zur Beantragung des Erlasses von Säumniszuschlägen nur dann erforderlich, wenn besondere Umstände vorliegen. Fehlt es daran, kann der begehrte Erlass von Säumniszuschlägen nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, der Steuerpflichtige habe es versäumt, AdV auch noch bei Gericht zu beantragen. 3. Hat der Steuerpflichtige seinen AdV-Antrag beim Finanzamt ausreichend substanziiert, hat er grundsätzlich alles Erforderliche getan, um AdV zu erlangen. - A.
Problemstellung Der VIII. Senat des BFH befasst sich mit der Rechtsfrage, ob es im Zusammenhang mit dem Erlass von Säumniszuschlägen im Hinblick auf die Frage, ob der Steuerpflichtige nach erfolglosem Antrag auf Aussetzung der Vollziehung (AdV) bei der Finanzbehörde „alles getan hat“, erforderlich ist, dass der Steuerpflichtige auch einen erfolglosen Antrag auf AdV nach § 69 Abs. 3 FGO beim Finanzgericht gestellt hat.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Das beklagte Finanzamt änderte gegenüber den zusammenveranlagten Klägern die Einkommensteuerfestsetzung für das Jahr 2012 (Streitjahr). Dabei berücksichtigte er auf der Grundlage der Feststellungen und Wertungen von Außenprüfungen verdeckte Gewinnausschüttungen (vGA) von zwei Kapitalgesellschaften (A Ltd. und B GmbH), an denen die Kläger beteiligt waren. Die sich aus dem Änderungsbescheid ergebende Nachzahlung (Einkommensteuer: 1.051.510 Euro, Solidaritätszuschlag: 57.833,05 Euro) wurde zum 07.01.2019 fällig gestellt. Der gegen den Änderungsbescheid am 04.01.2019 eingelegte Einspruch blieb ebenso erfolglos (Einspruchsentscheidung vom 02.10.2019) wie ein zeitgleich mit dem Einspruch gestellter AdV-Antrag (Ablehnungsbescheid vom 15.02.2019) sowie ein weiterer am 18.10.2019 gestellter Antrag auf AdV (Ablehnungsbescheid vom 29.10.2019). Der Bekl. setzte zeitgleich mit der Einspruchsentscheidung vom 02.10.2019 lediglich einen Betrag zur Einkommensteuer 2012 i.H.v. 1.679 Euro und einen Betrag zum Solidaritätszuschlag i.H.v. 92,34 Euro von der Vollziehung ab Fälligkeit aus. Der Einkommensteuerbescheid 2012 wurde mit Bescheid vom 03.02.2020 wegen vorliegender Grundlagebescheide erneut geändert. Die Erhöhungsbeträge wurden zum 06.03.2020 fällig gestellt. In diesem Bescheid wurde der Klägerin auf der Grundlage einer geänderten Bilanz der A Ltd. die zuvor dem Kläger zugerechnete vGA zugerechnet. Der Bescheid weist für die zum 07.01.2019 fälligen Beträge bereits entstandene Säumniszuschläge für den Zeitraum ab 07.01.2019 für Einkommensteuer i.H.v. 132.839,50 Euro und für Solidaritätszuschlag i.H.v. 7.496 Euro aus (Summe: 140.335,50 Euro). Der Beklagte setzte mit Bescheid vom 03.02.2020 von Amts wegen die Vollziehung der Einkommensteuer 2012 i.H.v. 1.020.972 Euro und des Solidaritätszuschlags i.H.v. 56.153,46 Euro unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs mit Wirkung ab dem 27.12.2019 aus. In der Begründung des Bescheids ist ausgeführt, die AdV erfolge aufgrund der eingereichten berichtigten Bilanz der A Ltd. Gleichzeitig endete die am 02.10.2019 angeordnete AdV. Mit Bescheid vom 19.02.2020 setzte der Beklagte die Vollziehung der zum 06.03.2020 fälligen Beträge, die auf der Umsetzung der Grundlagenbescheide durch den Bescheid vom 03.02.2020 beruhten, mit Wirkung ab Fälligkeit gegen Sicherheitsleistung aus. Mit Schreiben vom 30.03.2020 beantragten die Kläger den Erlass der Säumniszuschläge zur Einkommensteuer und zum Solidaritätszuschlag für das Streitjahr i.H.v. 143.783,67 Euro aus sachlichen Billigkeitsgründen. Die Festsetzung sei nachträglich aufgehoben worden. Die angesetzte vGA habe auf einer Fehlbuchung in der Bilanz der A Ltd. beruht. Diese Fehlbuchung sei berichtigt worden. Den Erlassantrag lehnte der Beklagte ab. Nach erfolglosem Einspruchsverfahren hat das FG Berlin-Brandenburg die Klage mit Urteil vom 22.11.2022 (5 K 5146/21 - EFG 2023, 1121) als unbegründet zurückgewiesen. Die Kläger hätten nicht alles getan, um eine AdV des Einkommensteuerbescheides des Streitjahres zu erreichen. Hierfür wäre jedenfalls auch ein gerichtlicher Antrag auf AdV erforderlich gewesen. Auf die Revision der Kläger hat der VIII. Senat des BFH das erstinstanzliche Urteil aufgehoben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG Berlin-Brandenburg zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FGO). Der BFH begründet seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt. I. Nach der Rechtsprechung des BFH seien Säumniszuschläge wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben wird und der Steuerpflichtige alles getan hat, um die AdV des Steuerbescheids zu erreichen, das Finanzamt oder das Finanzgericht aber die Aussetzung, obwohl möglich und geboten, abgelehnt haben. Es hänge von den Umständen des Einzelfalles ab, ob der Steuerpflichtige nach der Ablehnung seines AdV-Antrags durch das Finanzamt auch noch bei Gericht AdV beantragt haben müsse, um den Erlass von Säumniszuschlägen beanspruchen zu können („alles getan“). II. Fehle es daran, könne der begehrte Erlass von Säumniszuschlägen nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, der Steuerpflichtige habe es versäumt, AdV auch noch bei Gericht zu beantragen. Eine dahin gehende starre Obliegenheit lasse sich der Rechtsprechung nicht entnehmen. Habe der Steuerpflichtige seinen AdV-Antrag beim Finanzamt ausreichend substanziiert, habe er grundsätzlich alles Erforderliche getan, um AdV zu erlangen. Etwas anderes ergebe sich nicht daraus, dass die Finanzbehörde im AdV-Verfahren zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen verpflichtet bleibe (§ 88 AO). Auch das Finanzamt dürfe die Zweifelsprüfung auf die vom Antragsteller dargelegten Umstände begrenzen. III. Das Finanzgericht sei von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen. Es habe in tragender Weise angenommen, dass ein Steuerpflichtiger – unabhängig von den Umständen des Einzelfalls – stets nur dann alles Erforderliche getan hat, wenn er nach der Ablehnung seines AdV-Antrags durch das Finanzamt auch noch einen Antrag auf AdV beim Gericht gestellt habe. Es habe damit die Voraussetzungen für den Anspruch auf Erlass von Säumniszuschlägen in unzulässiger Weise typisiert. Sein Urteil könne deshalb keinen Bestand haben. Mangels ausreichender tatsächlicher Feststellungen des Finanzgerichts könne der Senat (jedoch) nicht selbst entscheiden, ob ein Anspruch der Kläger auf Billigkeitserlass bestanden habe. Die Sache sei nicht spruchreif, und deshalb zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Finanzgericht zurückzuverweisen.
- C.
Kontext der Entscheidung I. Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so sind gemäß § 240 AO nach Maßgabe der dortigen weiteren Tatbestandsvoraussetzungen Säumniszuschläge zu entrichten. Obwohl Säumniszuschläge nach § 3 Abs. 4 AO steuerliche Nebenleistungen sind, bleiben Änderungen der Bemessungsgrundlage unberücksichtigt. Maßgebend ist allein die Höhe der festgesetzten (bzw. angemeldeten) Steuer, die bei Fälligkeit nicht entrichtet worden ist. Nachträgliche Erhöhungen der Steuer bleiben ebenso unberücksichtigt wie deren nachträgliche Ermäßigung (§ 240 Abs. 1 Satz 4 AO). Der Gesetzgeber hat mit der ausdrücklichen Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO, wonach Säumniszuschläge nicht akzessorisch zur Hauptschuld sind, bewusst in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auch dann zu entrichten sind, wenn sich die Steuerfestsetzung später als unrechtmäßig erweist (vgl. BFH, Urt. v. 30.03.2006 - V R 2/04 Rn. 18 m.w.N. - BStBl II 2006, 612). II. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Säumniszuschläge erlassen werden können (bzw. müssen), wenn sie aufgrund einer rechtswidrigen Steuerfestsetzung entstanden sind, diese rechtswidrige Steuerfestsetzung jedoch später aufgehoben bzw. zugunsten des Steuerpflichtigen geändert wird. 1. Nach § 227 Abs. 1 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Säumniszuschläge gehören (§ 37 Abs. 1 AO i.V.m. § 3 Abs. 4 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre. Die Entscheidung über eine Billigkeitsmaßnahme ist eine Ermessensentscheidung, die gerichtlich nur in den durch § 102 FGO gezogenen Grenzen nachprüfbar ist (vgl. Beschl. des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes v. 19.10.1971 - GmS-OGB 3/70 - BStBl II 1972, 603). Nach § 102 FGO ist die gerichtliche Prüfung des den Erlass ablehnenden Bescheides und die hierzu ergangene Einspruchsentscheidung darauf beschränkt, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von dem ihr eingeräumten Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. 2. Hieran anknüpfend ist nach der Rechtsprechung des BFH ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht mehr zu rechtfertigen ist, weil die Erhebung – obwohl der Sachverhalt den gesetzlichen Tatbestand erfüllt – den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft (vgl. BFH, Urt. v. 07.07.1999 - X R 87/96 Rn. 18 - BFH/NV 2000, 161). Sachlich unbillig ist die Festsetzung bzw. Einziehung einer Steuer oder Nebenleistung, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass die Erhebung der Steuer unbillig ist. Dies ist etwa der Fall, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage – wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte – i.S.d. begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte (vgl. BFH, Urt. v. 18.09.2018 - XI R 36/16 - BStBl II 2019, 87 Rn. 28 f.). Spiegelbildlich hierzu müssen bei der Billigkeitsprüfung solche Umstände außer Betracht bleiben, die der gesetzliche Tatbestand typischerweise mit sich bringt. Eine für den Steuerpflichtigen ungünstige Rechtsfolge, die der Gesetzgeber bewusst angeordnet oder in Kauf genommen hat, rechtfertigt in der Regel keine Billigkeitsmaßnahme; insbesondere kann § 227 AO nicht als Rechtsgrundlage für eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Befreiungsvorschrift dienen (vgl. BFH, Urt. v. 18.09.2018 - XI R 36/16 - BStBl II 2019, 87 Rn. 30). 3. Dementsprechend kommt ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen nicht allein deshalb in Betracht, weil die Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen herabgesetzt worden ist (vgl. BFH, Urt. v. 30.03.2006 - V R 2/04 Rn. 18 m,.w.N. - BStBl II 2006, 612). Denn der Gesetzgeber hat mit den Regelungen in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO, wonach die bis dahin verwirkten Säumniszuschläge unberührt bleiben, wenn eine Steuerfestsetzung aufgehoben oder geändert wird, bewusst den Grundsatz der Akzessorietät der Säumniszuschläge als steuerliche Nebenleistungen (§ 3 Abs. 4 AO) durchbrochen. Die darin liegende Härte war dem Gesetzgeber bewusst und rechtfertigt daher regelmäßig nicht den Erlass der Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen (vgl. BFH, Urt. v. 18.09.2018 - XI R 36/16 Rn. 31 m.w.N. - BStBl II 2019, 87). 4. Allerdings sind Säumniszuschläge nach der Rechtsprechung des BFH wegen sachlicher Unbilligkeit zu erlassen, wenn die Steuerfestsetzung später aufgehoben wird und der Steuerpflichtige alles getan hat, um die AdV des Steuerbescheids zu erreichen, das Finanzamt oder das Finanzgericht aber die Aussetzung „obwohl möglich und geboten“ abgelehnt haben. In derartigen Fällen ist das Ermessen so reduziert, dass nur der Erlass der Säumniszuschläge ermessensfehlerfrei ist. Ein Erlass kommt hingegen nicht in Betracht, wenn der Steuerpflichtige sich nicht um die AdV bemüht hat oder wenn die Vollziehung zu Recht nicht ausgesetzt worden ist, weil – z.B. in Schätzungsfällen – keine ernstlichen Zweifel bestanden und der Steuerbescheid erst aufgrund nachgereichter Steuererklärungen aufgehoben worden ist. Der Steuerpflichtige muss zumindest gegenüber dem Finanzamt alles tun, um AdV zu erlangen. Dazu muss er sich soweit substanziiert um einstweiligen Rechtschutz bemüht haben, dass eine summarische Prüfung Zweifel an der Rechtswidrigkeit der Steuerfestsetzung hätte ergeben können. Dies schließt eine Begründung des Einspruchs im Rahmen des geforderten Bemühens um einstweiligen Rechtsschutz mit ein, da nach § 357 Abs. 3 Satz 3 AO mit Einspruchseinlegung auch die Tatsachen, die zur Begründung dienen, und die Beweismittel angeführt werden müssen (vgl. insgesamt BFH, Urt. v. 18.09.2018 - XI R 36/16 Rn. 36 ff. m.w.N. - BStBl II 2019, 87). Ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen kommt aber nicht in Betracht, wenn Anträge auf AdV nicht „ernsthaft“ bzw. nachvollziehbar begründet worden sind (vgl. BFH, Urt. v. 10.03.2016 - III R 2/15 Rn. 1 f. - BStBl II 2016, 508). III. Der VIII. Senat des BFH knüpft an die vorstehend dargestellte höchstrichterliche Rechtsprechung an und konkretisiert diese in der vorliegenden Entscheidung dahin gehend, dass nicht – wie von der Vorinstanz angenommen – typisierend davon auszugehen sei, dass ein Steuerpflichtiger stets nur dann „alles Erforderliche“ im vorstehenden Sinne getan habe, wenn er nach der Ablehnung seines AdV-Antrags durch das Finanzamt auch noch einen Antrag auf AdV beim Finanzgericht gestellt habe. Vielmehr habe ein Steuerpflichtiger grundsätzlich alles Erforderliche getan, um AdV zu erlangen, wenn er seinen AdV-Antrag beim Finanzamt ausreichend begründet habe. 1. Der erkennende Senat des BFH stellt insofern klar, dass im Falle der Ablehnung eines Antrags auf AdV durch das Finanzamt ein zusätzlicher AdV-Antrag beim Finanzgericht zur Beantragung des Erlasses von Säumniszuschlägen nur dann erforderlich ist, wenn besondere Umstände vorliegen. Fehlt es hieran, kann der begehrte Erlass von Säumniszuschlägen nach dieser Konkretisierung der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht allein mit der Begründung abgelehnt werden, der Steuerpflichtige habe es versäumt, AdV auch beim Finanzgericht zu beantragen. 2. Der VIII. Senat des BFH begründet seine Entscheidung nachvollziehbar und schlüssig damit, dass die sachliche Billigkeit immer einzelfallbezogen zu beurteilen sei („nach Lage des einzelnen Falls“; vgl. BFH, Urt. v. 27.09.2001 - X R 134/98 Rn. 21. f. m.w.N. - BStBl II 2002, 176) und sachliche Billigkeitsmaßnahmen deshalb grundsätzlich atypischen Ausnahmefällen vorbehalten seien. Typisierende Billigkeitsregelungen in Gestalt subsummierbarer Tatbestände kämen deshalb nicht in Betracht; sie könnten nur Gegenstand einer gesetzlichen Regelung sein. Danach hänge es ebenfalls von den Umständen des Einzelfalls ab, ob der Steuerpflichtige nach der Ablehnung seines AdV-Antrags durch das Finanzamt auch noch beim Gericht AdV habe beantragen müssen, um den Erlass von Säumniszuschlägen beanspruchen zu können („alles getan“).
- D.
Auswirkungen für die Praxis I. Die Besprechungsentscheidung hat erhebliche Praxisrelevanz. Während sich aus der bisherigen höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht zweifelsfrei ableiten ließ, ob (generell oder ggf. einschränkend unter welchen Voraussetzungen) im Zusammenhang mit dem Erlass von Säumniszuschlägen unter dem Gesichtspunkt, dass der Steuerpflichtige „alles getan“ haben muss, um eine AdV zu erlangen, auch ein gerichtlicher Antrag auf AdV zu fordern ist (vgl. hierzu mit Nennung entsprechender höchstrichterlicher Entscheidungen: Lutter, jurisPR-SteuerR 32/2023 Anm. 3), hat der VIII. Senat des BFH nunmehr unmissverständlich deutlich gemacht, dass es zur Beurteilung dieser Frage, auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles ankommt. Eine bislang teilweise befürwortete generelle Erforderlichkeit eines weiteren gerichtlichen Antrags auf AdV nach Ablehnung des AdV-Antrags durch das Finanzamt dürfte sich somit im hier thematisierten Kontext nach dem vorliegenden BFH Urteil nicht mehr mit Erfolg vertreten lassen. II. Der erkennende Senat des BFH macht in der Besprechungsentscheidung ferner deutlich, dass es im Rahmen der auf den Einzelfall bezogenen Beurteilung, ob ein weiterer gerichtlicher AdV-Antrag im vorgenannten Sinne erforderlich war, maßgeblich auf den Inhalt des vom Steuerpflichtigen beim Finanzamt gestellten AdV-Antrags ankommt. Dabei ist auch zu berücksichtigen über welche Kenntnisse und Beweismittel der Steuerpflichtige verfügt hat und inwieweit ihm vor diesem Hintergrund ein substanziierter Vortrag möglich war. Ggf. ist auch zu beurteilen, ob besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer zum Zeitpunkt der Ablehnung der AdV durch das Finanzamt ein beim Finanzgericht gestellter Antrag auf AdV erfolgsversprechend gewesen wäre. Als Beispiel für eine mögliche Erforderlichkeit eines weiteren gerichtlichen AdV-Antrags nennt der VIII. Senat des BFH die Bindung des Finanzamts an Richtlinien oder andere Verwaltungsanweisungen. In einem solchen Fall kann es aus Sicht des BFH erfolgsversprechend sein, einstweiligen Rechtsschutz auch noch beim Finanzgericht zu beantragen. Dafür müssten aber besondere Umstände vorliegen. III. Für die Rechtsanwendungspraxis ist darüber hinaus relevant, dass die Rechtmäßigkeit der ablehnenden AdV-Entscheidung im Erlassverfahren nicht inzident überprüft wird. Ob zum Zeitpunkt der AdV-Versagung ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Steuerbescheide i.S.v. § 361 Abs. 2 Satz 2 AO bzw. § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO vorgelegen haben, d.h. ob die ablehnende Entscheidung bei der im AdV-Verfahren gebotenen summarischen Prüfung aufgrund des Sachverhalts, der sich aus dem Klägervortrag (Antragstellervortrag) und der Aktenlage ergab, rechtmäßig war, ist nicht erheblich (vgl. BFH, Urt. v. 18.09.2018 - XI R 36/16 - BStBl II 2019, 87 Rn. 53 m.w.N).
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