A. Einleitung
Nachdem die BauGB-Novelle der Ampel-Koalition in buchstäblich „letzter Minute“ dem Grundsatz der Diskontinuität zum Opfer gefallen ist, hat die amtierende schwarz-rote Regierung am 07.07.2025 ihren „Entwurf eines Gesetzes zur Beschleunigung des Wohnungsbaus und zur Wohnraumsicherung“ in den Bundestag eingebracht (BT-Drs. 21/781). Mit dem Gesetzesentwurf hat die Koalition ihr Versprechen aus dem Koalitionsvertrag eingelöst, in dem es heißt, dass die Regierungsparteien das BauGB in zwei Schritten novellieren werden (Verantwortung für Deutschland, Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD, Z. 713 ff.).
Der vorgelegte Entwurf stellt dabei den ersten Schritt dar: Im Koalitionsvertrag haben sich die Koalitionsparteien darauf geeinigt, dass innerhalb der ersten 100 Tage der Legislaturperiode ein Gesetzentwurf zur Einführung eines „Wohnungsbauturbos“ unter Berücksichtigung der kommunalen Planungshoheit vorgelegt wird sowie Lärmschutzfestsetzungen erleichtert werden. Zugleich sollten die Vorschriften über den Umwandlungsschutz und die Möglichkeit der Festlegung von Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt um fünf Jahre verlängert werden. Dieser Ankündigung ist die Regierung mit dem Gesetzesentwurf nun nachgekommen. Ziel des Gesetzes ist es, den Mangel an bezahlbarem Wohnraum, insbesondere in den urbanen Räumen, zu minimieren. Zur Erreichung dieses Ziels enthält der Entwurf Vorschläge für verschiedene Änderungen im BauGB, wobei weitgehend auf die vorbereitenden Arbeiten an der BauGB-Novelle zurückgegriffen wurde.
Der Gesetzesentwurf wurde am 18.06.2025 vom Bundeskabinett beschlossen und anschließend in den Bundestag eingebracht. In der ersten Lesung am 10.07.2025 wurde der Entwurf in die zuständigen Ausschüsse verwiesen. Ein Inkrafttreten der Regelungen ist für den Herbst 2025 geplant.
B. Überblick über die Regelungen des Gesetzesentwurfs
I. Befreiungs- und Abweichungsmöglichkeiten zugunsten des Wohnungsbaus
1. Festsetzungen des Bebauungsplans: Erweiterung der Befreiungsmöglichkeiten
Der Entwurf sieht vor, dass die gemäß § 31 Abs. 3 BauGB bestehende und entsprechend § 201a BauGB bisher bis zum 31.12.2026 befristete Möglichkeit, von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus zu befreien, deutlich erweitert wird. Der bisherige Absatz 3 soll dafür durch einen neuen Absatz ersetzt werden. Nach der Neuregelung kann mit Zustimmung der Gemeinde im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugunsten des Wohnungsbaus befreit werden, wenn die Befreiung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Mit der neuen Regelung sollen beispielsweise Aufstockungen oder Umbauten deutlich erleichtert werden. Dazu enthält die vorgeschlagene Regelung im Vergleich zur bisherigen Rechtslage für die zulassenden Gemeinden einige Erleichterungen. Zum einen soll die Befreiungsmöglichkeit zugunsten von Wohnungsbauvorhaben nicht mehr nur in Gebieten mit angespanntem Wohnungsmarkt gemäß § 201a BauGB anwendbar sein. Davon sollen ausweislich der Gesetzesbegründung auch kleinere Gemeinden profitieren, die in Bundesländern liegen, die von der Verordnungsermächtigung in § 201a BauGB keinen Gebrauch gemacht haben (BT-Drs. 21/781, S. 21). Eine Befreiung soll daher künftig überall möglich sein. Zum anderen soll eine Befreiung von den Festsetzungen nicht mehr nur im Einzelfall, sondern auch „in mehreren vergleichbaren Fällen“ möglich sein. Dies hat den Hintergrund, dass das Einzelfallerfordernis von der Rechtsprechung bislang eng ausgelegt wird. Erforderlich ist stets das Vorliegen eines atypischen Sonderfalls (BVerwG, Urt. v. 24.04.2024 - 4 C 2/23 Rn. 27). In der Vergangenheit taten sich die Gemeinden daher teilweise schwer, einen atypischen Fall anzunehmen, wenn einem Befreiungsantrag Umstände zugrunden lagen, die auf mehr als nur einzelne Grundstücke oder Vorhaben übertragen werden konnten (vgl. Difu, Planspiel zur BauGB-Novelle 2023/2024 – Endbericht, S. 64). Mit der vorgeschlagenen Regelung sollen so zum Beispiel Befreiungen für Aufstockungen oder Hinterlandbebauungen in ganzen Straßenzügen möglich werden, für die ansonsten die Änderung eines Bebauungsplanes nötig gewesen wäre. Insofern kann durch die Erweiterung der Befreiungsmöglichkeit auch die Zahl der durchzuführenden Planverfahren reduziert werden. Der Vorschlag kommt daher auch dem allgemeinen Ziel der Entbürokratisierung und Entlastung der Gemeinden zugute.
Für Wohnungsbauvorhaben stellt die vorgeschlagene Regelung eine deutliche Erleichterung dar, denn im Vergleich zu einer Befreiungsentscheidung nach § 31 Abs. 2 BauGB dürfen auch die Grundzüge der Planung berührt werden. Der Gesetzgeber des Baulandmobilisierungsgesetzes wollte das Tatbestandsmerkmal „Grundzüge der Planung“ noch „behutsam lockern“ und befristete daher die Anwendbarkeit der bisherigen Regelung in § 31 Abs. 3 BauGB (BT-Drs. 19/24838, S. 28). Die jetzt vorgeschlagene Regelung soll hingegen unbefristet gelten, was eine erhebliche Lockerung darstellt: Indem § 31 Abs. 3 BauGB nicht mehr auf Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt beschränkt sein soll, entfällt auch die zeitliche Verknüpfung mit der Geltungsdauer der entsprechenden Verordnungen. Folgerichtig soll auch in § 201a Satz 2 BauGB die Angabe des § 31 Abs. 3 BauGB gestrichen werden.
Zur Wahrung der kommunalen Planungshoheit aus Art. 28 Abs. 2 GG bedarf die Zulassungsentscheidung der Zustimmung der Gemeinde. Diese ist zu unterscheiden von dem gemeindlichen Einvernehmen nach § 36 BauGB und soll erstmals in einem neuen § 36a BauGB näher geregelt werden (vgl. unter III.).
Weiterhin erforderlich ist, dass die Befreiung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist. Dazu bestimmt Satz 2 des Absatzes 3, dass die Befreiung mit öffentlichen Belangen insbesondere dann nicht vereinbar ist, wenn sie aufgrund einer überschlägigen Prüfung voraussichtlich zusätzliche erhebliche Umweltauswirkungen hat. Hintergrund dieser Konkretisierung ist, dass eine Umgehung der SUP-Richtlinie (Richtlinie 2001/42/EG v. 27.06.2001) drohen könnte, wenn durch die Anwendung der Befreiungsmöglichkeit die Änderung eines Bebauungsplanes entbehrlich würde, für die ansonsten die Pflicht zur Durchführung einer strategischen Umweltprüfung erforderlich wäre. Diese ist nach der Rechtsprechung des EuGH und des BVerwG nicht nur bei der Ausarbeitung von „Plänen und Programmen“ durchzuführen, sondern auch bei deren Änderung (EuGH, Urt. v. 09.03.2023 - C-9/22 Rn. 39; BVerwG, Urt. v. 28.09.2023 - 4 C 6/21 Rn. 19 f.). Nach der Gesetzesbegründung ist insoweit eine überschlägige Prüfung ausreichend, für welche die Kriterien der Anlage 2 des BauGB als Hilfsmittel dienen können (BT-Drs. 21/781, S. 21). Unklar bleibt, warum der Gesetzgeber hier nicht direkt auf den Maßstab zur Ermittlung von erheblichen Umweltauswirkungen nach § 13a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauGB verweist.
2. Unbeplanter Innenbereich: Abweichungen vom Einfügungsgebot
Für Wohnungsbauvorhaben im unbeplanten Innenbereich enthält der Gesetzesentwurf den Vorschlag für einen neuen Absatz 3b des § 34 BauGB. Danach soll im Einzelfall oder in mehreren vergleichbaren Fällen vom Erfordernis des Einfügens in die nähere Umgebung abgewichen werden können, wenn das Vorhaben der Errichtung eines Wohngebäudes dient, städtebaulich vertretbar ist und unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Zweck der Regelung ist ausweislich der Gesetzesbegründung die Erweiterung der Möglichkeiten von Hinterlandbebauungen oder auch die Bebauung von Freiflächen innerhalb von Wohnblöcken (BT-Drs. 21/781, S. 22). Die Abweichung von dem Einfügungsgebot bezieht sich sowohl auf das Maß als auch auf die Art der baulichen Nutzung. Aufgrund der Beschränkung der Abweichungsmöglichkeit auf die städtebauliche Vertretbarkeit sowie die Vereinbarkeit mit öffentlichen Belangen erscheint dies vertretbar. Da diese Abweichungsmöglichkeit ebenfalls in die Planungshoheit der Gemeinde eingreift, soll auch bei einer Befreiungsentscheidung nach § 34 Abs. 3b BauGB-E die Zustimmung der Gemeinde erforderlich sein (vgl. dazu unter III.).
Bisher konnte im unbeplanten Innenbereich schon nach Maßgabe des § 34 Abs. 3a BauGB vom Erfordernis des Einfügens abgesehen werden. Angewandt werden konnte diese Regelung unter anderem bei der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung eines Wohngebäudes. Eine Anwendung bei der Errichtung eines Wohngebäudes war von der Vorschrift bislang nicht umfasst. Diese „Lücke“ soll der vorgeschlagene Absatz 3b nun schließen.
3. Bauturbo: befristete Sonderregelung für den Wohnungsbau
Die im Entwurf vorgeschlagene und als „Experimentierklausel“ bezeichnete Regelung in § 246e BauGB-E stellt den eigentlichen „Wohnungsbauturbo“ dar. Nach dieser Vorschrift soll mit Zustimmung der Gemeinde von sämtlichen Vorschriften des BauGB und der darauf basierenden Verordnungen im erforderlichen Umfang abgewichen werden können, wenn die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist und einem der aufgezählten Vorhaben dient. Die Abweichung muss dazu entweder der Errichtung von Wohngebäuden oder der Erweiterung, Änderung oder Erneuerung zulässigerweise errichteter Gebäude dienen, wenn hierdurch neue Wohnungen geschaffen werden oder vorhandener Wohnraum wieder nutzbar wird. Auch die Nutzungsänderung zulässigerweise errichteter baulicher Anlagen zu Wohnzwecken, einschließlich einer erforderlichen Änderung oder Erneuerung, sind vom Anwendungsbereich umfasst. Die Regelung soll befristet gelten bis zum Ablauf des 31.12.2030.
Der Wohnungsbauturbo ist indes keine Erfindung der schwarz-roten Koalition. Die Sonderregelung ist angelehnt an den § 246 Abs. 14 BauGB, der ebenfalls befristete Abweichungsmöglichkeiten für die Schaffung von Flüchtlingsunterkünfte enthält und bereits 2015 Eingang in das Gesetz gefunden hat (Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz, BGBl I 2015, 1722). Schon im November 2023 gab es seitens des Bauministeriums einen ersten Versuch eine derartige Regelung auf den Wohnungsbau zu übertragen. Dazu veröffentlichte das Ministerium eine „Formulierungshilfe zur Einführung einer befristeten Sonderregelung für den Wohnungsbau“ und schlug darin die Einführung eines § 246e vor. Nachdem in der Verbändeanhörung überwiegend kritisch auf den Entwurf reagiert worden war, verschwand der Vorschlag zunächst von der Bildfläche. Auch der im Sommer 2024 veröffentlichte Referentenentwurf für ein „Gesetz zur Stärkung der integrierten Stadtentwicklung“ (die BauGB-Novelle) enthielt die Regelung zunächst nicht. Nach Abschluss der Verbändeanhörung zur BauGB-Novelle tauchte der § 246e allerdings wieder im beschlossenen Kabinettsentwurf auf. Der Gesetzesentwurf fiel sodann dem Bruch der Ampelkoalition zum Opfer.
Der jetzt vorliegende Entwurf der Sonderregelung des § 246e BauGB-E geht über den letzten aus der BauGB-Novelle stammenden Vorschlag sogar noch hinaus: Dieser begrenzte die Anwendung des § 246e BauGB-E noch auf Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt nach § 201a BauGB. Diese Begrenzung sieht der Gesetzesentwurf nun nicht mehr vor. Der Wohnungsbauturbo soll also überall anwendbar sein.
Durch den § 246e BauGB-E sollen weitreichende Abweichungen von den Vorschriften des BauGB und der darauf basierenden Verordnungen ermöglicht werden. Abweichungen von Vorschriften, die außerhalb des mit dem BauGB verbundenen Rechtsregimes stehen, sind mit der Regelung nicht möglich. Beispielsweise werden durch die Vorschrift keine Abweichungen von immissionsschutzrechtlichen Vorschriften zum Schutz vor Lärm- und Geruchsemissionen zugelassen. Aber auch die Abweichung von den Vorschriften der Landesbauordnungen, wie beispielsweise zum Brandschutz oder zu den Abstandsflächen ist nicht möglich. Abgewichen werden kann insbesondere von den Vorschriften über die Art der baulichen Nutzung gemäß den §§ 1 ff. BauNVO oder über das Maß der baulichen Nutzung gemäß den §§ 16 ff. BauNVO, denn die BauNVO ist eine auf § 9a BauGB beruhende Verordnung. Mit der Anwendung von § 246e BauGB-E ist somit beispielsweise die Zulassung von Wohnungsbauvorhaben in einem durch einen Bebauungsplan festgesetzten Kern- oder Gewerbegebiet möglich – ohne vorherige Änderung des Bebauungsplans. Dasselbe gilt für Wohnungsbauvorhaben in einem faktischen Baugebiet nach § 34 Abs. 2 BauGB. Durch die Möglichkeit, vom Maß der baulichen Nutzung abzuweichen, sind Abweichungen hinsichtlich der Grundflächenzahl, der Geschossflächenzahl oder der Höhe der Gebäude denkbar.
Wie auch bei der Befreiungsmöglichkeit nach § 31 Abs. 3 BauGB-E muss die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein. Die Konkretisierung, dass eine Abweichung von Bauleitplänen insbesondere dann nicht mit öffentlichen Belangen vereinbar ist, wenn sie aufgrund einer überschlägigen Prüfung voraussichtlich zusätzliche erhebliche Umweltauswirkungen hat, enthält auch der vorgeschlagene § 246e Abs. 1 BauGB-E. Die Ausführungen zu § 31 Abs. 3 BauGB-E gelten daher entsprechend.
Bei den beiden bisherigen Versuchen, den Wohnungsbauturbo einzuführen, war Kritik laut geworden – insbesondere wegen des tiefgreifenden Eingriffs in die Planungshoheit der Gemeinden und der zwar vorgesehenen, aber ungeregelten Zustimmung der Gemeinden. Dieser Kritik soll nun erkennbar entgegengekommen werden mit der vorgeschlagenen Einfügung eines § 36a BauGB-E, der die Zustimmung der Gemeinde ausdrücklich regeln soll (vgl. dazu unten unter III.). Die Regelung zur Zustimmung nach § 36a BauGB-E soll bei Entscheidungen nach § 246e BauGB-E entsprechend angewandt werden. Damit kann auch die Regelung des § 36a Abs. 2 BauGB-E angewandt werden, der die Möglichkeit der Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung vorsieht. In der Gesetzesbegründung wird dieses Vorgehen bei der Anwendung von § 246e BauGB-E im Genehmigungsverfahren „empfohlen“ (BT-Drs. 21/781, S. 26). Durch die angeordnete entsprechende Anwendung des § 36a BauGB-E auf Entscheidungen nach § 246e BauGB-E soll wohl auch der – wiederum in § 36a Abs. 1 Satz 4 BauGB-E enthaltene – Verweis auf die Einvernehmensfiktion nach § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB entsprechend angewandt werden können. Damit wird die Zustimmung der Gemeinde fingiert, wenn sie nicht binnen zwei Monaten verweigert wird. Angesichts der weitreichenden Abweichungsmöglichkeiten ist die zweimonatige Frist als durchaus knapp bemessen zu bewerten.
Anwendbar soll die Sonderregelung gemäß § 246e Abs. 3 BauGB-E auch im Außenbereich sein. Die Anwendung soll jedoch auf Vorhaben begrenzt sein, die im räumlichen Zusammenhang mit Flächen stehen, die nach § 30 Abs. 1, Abs. 2 BauGB oder nach § 34 BauGB zu beurteilen sind. Ausweislich der Gesetzesbegründung soll damit deutlich werden, dass nicht nur Vorhaben erfasst werden, die sich nahtlos an die genannten Gebiete anschließen, sondern auch solche umfasst sind, die „sich trotz eines gewissen Abstands noch als organische Fortentwicklung des Siedlungsbereichs darstellen und von dessen infrastruktureller Anbindung, einschließlich der sozialen Infrastruktur, profitieren können“ (BT-Drs. 21/781, S. 27). Ein Anwendungsfall dürften in diesem Zusammenhang die Fälle von Außenbereichsfingern sein, die in einen Innenbereich hineinragen oder Konstellationen des sogenannten Außenbereichs im Innenbereich. Bis zu welcher Entfernung noch von einem räumlichen Zusammenhang auszugehen ist, lässt sich § 246e BauGB-E nicht entnehmen. Die Begründung führt dazu aus, dass der räumliche Zusammenhang „in jedem Einzelfall“ zu prüfen ist. Ab einer Entfernung von mehr als 100 Metern vom bestehenden Siedlungsbereich werde man aber „in jedem Fall nicht mehr vom Vorliegen eines räumlichen Zusammenhangs ausgehen können“ (BT-Drs. 21/781, S. 27). Das Spannungsverhältnis zwischen dem Vorrang der Innenentwicklung einerseits und dem Schutz des Außenbereichs, dem Prinzip des sparsamen und schonenden Umgangs mit Grund und Boden (§ 1a Abs. 2 BauGB) und weiteren Umwelt- und Nachhaltigkeitsaspekten dürfte durch den Wohnungsbauturbo jedenfalls eher noch verstärkt werden, zumal die in den vergangenen Entwürfen enthaltene allgemeine Begrenzung des Anwendungsbereichs auf Gebiete mit angespanntem Wohnungsmarkt nach § 201a BauGB durch den jetzt vorliegenden Entwurf aufgegeben wurde. Auch auf die bestehenden Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht sei an dieser Stelle hingewiesen: Die Erstreckung des Wohnungsbauturbos auf Außenbereichsvorhaben könnte eine Umgehung der SUP-Richtlinie darstellen (vgl. etwa Hellriegel, NVwZ 2024, 1719, 1724).
II. Neuregelungen zum Immissionsschutz
Einen gänzlich neuen Weg beschreitet der Gesetzgeber mit dem Entwurf eines neuen § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a BauGB. So können nach dem geltenden § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a BauGB Gebiete festgesetzt werden, in denen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen im Sinne des BImSchG bestimmte luftverunreinigende Stoffe nicht oder nur beschränkt verwendet werden dürfen. Hinsichtlich der Festsetzungsmöglichkeiten zum Lärmschutz bestand bislang gemäß § 9 Abs. 1 Nr. 24 BauGB nur die Möglichkeit der Festsetzung von baulichen und technischen Vorkehrungen, einschließlich von Maßnahmen zum Schutz vor schädlichen Umwelteinwirkungen durch Geräusche. Eine Festsetzung von flächenbezogenen Schallleistungspegeln oder von Emissions- oder Immissionsgrenzwerten war auf dieser Grundlage nicht möglich (BVerwG, Beschl. v. 18.12.1990 - 4 N 6/88; BVerwG, Beschl. v. 30.01.2006 - 4 BN 55/05). Zulässig ist aber beispielsweise die Festsetzung von Emissionskontingenten nach § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauNVO für das jeweilige Baugebiet bzw. einzelne Teilgebiete.
Mit dem neuen § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a, aa) BauGB-E soll der Gemeinde nun die Möglichkeit eröffnet werden, Gebiete festzusetzen, in denen „bestimmte Werte zum Schutz vor Geräuschimmissionen oder bestimmte Geräuschemissionskontingente nicht überschritten werde dürfen, wobei in begründeten Fällen Abweichungen von der TA Lärm in der jeweils geltenden Fassung zulässig sind“. Der bisherige § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a BauGB soll in § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a, bb) BauGB-E verschoben werden. Die Neuregelung ist unter verschiedenen Gesichtspunkten zu kritisieren. Zunächst stellt sich die generelle Frage, welcher Zusammenhang zwischen der Beschleunigung des Wohnungsbaus und dieser Erweiterung des Festsetzungskatalogs besteht. Der Gesetzgeber bleibt eine Antwort schuldig und nimmt lediglich auf die Vereinbarung im Koalitionsvertrag Bezug, Lärmschutzfestsetzungen zu erleichtern, wobei zu erwarten ist, dass durch diese Festsetzungsmöglichkeit das Lärmschutzniveau eher abgesenkt als angehoben wird.
Die geplante Neuregelung ist auch aus anderen Gründen zu kritisieren:
- •
Die Bezugnahme auf die TA Lärm verwundert, ist die TA Lärm doch auf die Bauleitplanung nach Nr. 1 TA Lärm nicht anwendbar. Soweit ersichtlich, verweist § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a, aa) BauGB-E auf die Immissionsrichtwerte der TA Lärm als Orientierungswerte, von denen nur in begründeten Fällen abgewichen werden darf. Im Rahmen der Abwägung muss somit eine Einzelfallentscheidung herbeigeführt werden. Entsprechend der Befreiungsmöglichkeit nach § 31 Abs. 3 BauGB könnte hier verlangt werden, dass es nicht um städtebauliche Situationen gehen darf, die in dem betreffenden Plangebiet für jedes oder nahezu jedes Grundstück gleichermaßen gegeben wären.
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Schließlich stellt sich die Frage nach dem Erfordernis dieser Festsetzungsmöglichkeit. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Gemeinden im Rahmen der Bauleitplanung die Möglichkeit haben, Immissionskonflikte zunächst durch die Festsetzung von Baugebietstypen zu steuern und konfligierende Nutzungen einander so zuzuordnen, dass Konflikte vermieden werden. Dabei ist der Trennungsgrundsatz zu beachten. Im Rahmen der Festsetzung des Baugebietstyps hat die Gemeinde auch die Möglichkeit, eine höhere Lärmbelastung durch die Festsetzung von urbanen Gebieten nach § 6a BauNVO zu erzielen. Über § 1 Abs. 4 BauNVO besteht zudem die Möglichkeit der Feinsteuerung.
Kritisch ist auch die Einfügung eines neuen § 216a BauGB-E zu sehen, der erst nach der Verbändeanhörung in den Kabinettsentwurf aufgenommen wurde. Wird ein Bebauungsplan in Bezug auf eine Festsetzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 23 Buchst. a, aa) BauGB-E von Werten zum Schutz vor Geräuschimmissionen, die von der TA Lärm abweichen, durch gerichtliche Entscheidung für unwirksam erklärt, nachdem ein Wohnbauvorhaben entsprechend dieser abweichenden Festsetzungen verwirklicht wurde, entscheiden die zuständige Bauaufsichts- und Immissionsschutzbehörde im Einvernehmen über die Anordnung von lärmmindernden Maßnahmen nach dem Bauordnungs- oder dem Immissionsschutzrecht, die zur Wahrung gesunder Wohn- und Arbeitsverhältnisse erforderlich sind. Die Regelung wirft eine Reihe von Fragen auf. Zum einen stellt sich die Frage nach der Durchbrechung der Bestandskraft der Baugenehmigung durch diese Regelung. Nach dem Bauordnungsrecht ist die Möglichkeit der Bauaufsichtsbehörden, bei einer bestandskräftigen Baugenehmigung einzuschreiten, regelmäßig auf die Abwehr von Gefahren beschränkt (vgl. § 76 Abs. 3 Satz 1 HBauO; § 85 Abs. 2 NBauO; § 58 Abs. 6 BauO NRW; Art. 54 Abs. 4 BayBauO). Mit § 216a BauGB-E würde den Bauaufsichtsbehörden eine darüber hinausgehende und von der Gefahrenabwehr losgelöste Kompetenz eingeräumt, die dazu führen würde, nachträgliche Anordnungen hinsichtlich einer bestandskräftigen Baugenehmigung zu erlassen. Dies wirft auch verfassungsrechtliche Fragen auf. Zum anderen stellt sich die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundesgesetzgebers, da er mit § 216a BauGB-E Befugnisse der Bauaufsichtsbehörden begründet, die dem Landesgesetzgeber vorbehalten sein dürften.
III. Sicherung der Planungshoheit: Zustimmung der Gemeinde
In einem neuen § 36a BauGB sieht der Entwurf eine Regelung zur Zustimmung der Gemeinde vor. Diese war bislang nur für die in § 31 Abs. 3 BauGB geregelte Befreiung im Einzelfall erforderlich. Für die erweiterten Befreiungs- und Abweichungsmöglichkeiten in den §§ 31 Abs. 3, 34 Abs. 3b und 246e BauGB-E soll künftig ebenfalls die Zustimmung der Gemeinde erforderlich sein. Durch die neue Regelung entsteht ein stärkerer Bedarf, die Zustimmung ausdrücklich zu regeln, auch um eine einheitliche Handhabung zu gewährleisten. Für die Vorhaben, die unter einem Zustimmungserfordernis stehen, ist die Zustimmung zwingende Voraussetzung für die Zulassung (BT-Drs. 21/781, S. 23). Diese soll auch dann erforderlich sein, wenn die Gemeinde selbst die zuständige Bauaufsichtsbehörde ist.
Gemäß § 36a Abs. 1 Satz 2 BauGB-E erteilt die Gemeinde die Zustimmung, wenn das Vorhaben mit ihren Vorstellungen von der städtebaulichen Entwicklung und Ordnung vereinbar ist. An dieser Stelle wird der Unterschied zum gemeindlichen Einvernehmen gemäß § 36 BauGB deutlich: Die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ist an die Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 31 , 33 bis 35 BauGB gebunden und stellt somit eine Form der Rechtskontrolle dar. Allgemeine planerische Vorstellungen oder Planungsabsichten der Gemeinde berechtigen nicht zur Ablehnung der Erteilung des Einvernehmens, jedenfalls solange sie nicht durch ein planungsrechtliches Instrument wie beispielsweise eine Veränderungssperre gemäß § 14 BauGB abgesichert worden sind. Im Gegensatz dazu kann die Zustimmung auch aus anderen städtebaulichen Gründen verweigert werden. Das Zustimmungserfordernis soll somit die kommunale Planungshoheit der Gemeinde aus Art. 28 Abs. 2 GG absichern, denn funktional ersetzt es eine entsprechende Bauleitplanung (BT-Drs. 21/781, S. 23). Auf die Erteilung der Zustimmung besteht daher kein Rechtsanspruch. Auch kann sie – im Gegensatz zum Einvernehmen – nicht durch die höhere Verwaltungsbehörde ersetzt werden.
Der Entwurf sieht zudem vor, dass die Erteilung der Zustimmung unter der Bedingung erteilt werden kann, dass bestimmte städtebauliche Anforderungen eingehalten werden. Die Gesetzesbegründung nennt beispielhaft die Verpflichtung des Vorhabenträgers zur Einhaltung der geltenden Förderbedingungen der sozialen Wohnraumförderung (BT-Drs. 21/781, S. 23).
Die Regelung über die Einvernehmensfiktion in § 36 Abs. 2 Satz 2 BauGB soll auf die Erteilung der Zustimmung entsprechend angewandt werden, wie § 36a Abs. 1 Satz 4 BauGB-E zu entnehmen ist. Die Zustimmung gilt dementsprechend als erteilt, wenn die Gemeinde sie nicht binnen zwei Monaten verweigert. Das Zustimmungsverfahren soll demnach binnen höchstens zwei Monaten abgeschlossen werden.
Weiterhin sieht der Entwurf in § 36a Abs. 2 BauGB-E vor, dass die Gemeinde der betroffenen Öffentlichkeit vor der Entscheidung über die Zustimmung Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb angemessener Frist geben kann, höchstens jedoch innerhalb eines Monats. Laut Gesetzesbegründung kann dies unter anderem dazu dienen, nachbarliche Interessen zu ermitteln (BT-Drs. 21/781, S. 24) oder die Akzeptanz eines Vorhabens zu steigern.
Die explizite Regelung der gemeindlichen Zustimmung ist positiv zu bewerten, denn sie sichert den Gemeinden ihre kommunale Planungshoheit und wird voraussichtlich zur Rechtssicherheit bei der Anwendung des Zustimmungserfordernisses sorgen. Im Entwurf zur gescheiterten BauGB-Novelle aus der letzten Legislaturperiode war eine solche Regelung noch nicht enthalten.
Mangels kodifizierter Voraussetzungen für eine Versagung der Zustimmung kann ein Bauherr mit einem Rechtsbehelf gegen die Versagung nur schwerlich erfolgreich sein (so auch Otto, ZfBR 2025, 339, 340). Diesem Gedanken folgend bestimmt § 36a Abs. 3 BauGB-E zwar, dass die Entscheidung über die Zustimmung nur im Rahmen des Rechtsbehelfsverfahrens gegen die Zulassungsentscheidung überprüft werden kann. Dies ändert allerdings nichts an dem Befund, dass ein Bauherr nur schwerlich einen Anspruch auf Zustimmung wird durchsetzen können, er vielmehr auf die allgemeinen verfassungsrechtlichen Grundsätze (Rechtsstaatsprinzip und Gleichbehandlungsgrundsatz) verwiesen ist (vgl. Otto, ZfBR 2025, 339, 340).
IV. Weitere Regelungen zugunsten des Wohnungsbaus
Der Entwurf enthält noch weitere Regelungsvorschläge zugunsten des Wohnungsbaus. So soll die in § 201a BauGB bestehende Möglichkeit, durch Rechtsverordnung Gebiete mit einem angespannten Wohnungsmarkt zu bestimmen, um weitere fünf Jahre verlängert werden. Anderenfalls wäre die Regelung zum Ablauf des Jahres 2026 ausgelaufen. Die Regelung zur Bildung von Wohnungseigentum in Gebieten mit angespannten Wohnungsmärkten in § 250 BauGB und das darin enthaltene Genehmigungserfordernis für die Aufteilung nach dem WEG wird ebenfalls um fünf Jahre verlängert. Die Verlängerung dieser Regelungen war im Koalitionsvertrag vereinbart worden (Koalitionsvertrag, Z. 715 ff.).
C. Bewertung des Gesetzentwurfs
Durch die Vorschriften des Wohnungsbauturbos wird die Zulassung von Wohnungsbauvorhaben trotz entgegenstehender Bebauungspläne sowie im unbeplanten Innenbereich und im Außenbereich aufgrund von weitreichenden Befreiungs- und Abweichungsmöglichkeiten erheblich erleichtert. Insbesondere die Ausweitung der Befreiungsmöglichkeit des neuen § 31 Abs. 3 BauGB-E sowie die umfassenden Abweichungsmöglichkeiten nach § 246e BauGB-E sind hier besonders hervorzuheben. Die Praxis wird zeigen, in welchem Umfang von § 246e BauGB-E als befristeter Experimentierklausel Gebrauch gemacht wird. Der Erfolg der Vorschrift wird davon abhängig sein, in welchem Umfang die Gemeinden ihre Zustimmung erteilen oder versagen werden. Die Neuregelungen zum Immissionsschutz werden überwiegend kritisch gesehen. Auf die Ausführungen hierzu wird verwiesen.