Inhalt und Gegenstand der Entscheidung
Die Antragsgegnerin, eine kreisfreie Stadt, veröffentlichte im EU-Amtsblatt das offene Vergabeverfahren „Durchführung des Rettungsdienstes zur Notfallrettung und qualifizierten Krankentransport im Rettungsdienstbereich der Stadt C. durch Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Durchführungsvertrages nach § 31 SächsBRKG“. Die Antragstellerin war zum Zeitpunkt der Ausschreibung Bestandsdienstleisterin. Sie gab ein Angebot für ein Regionallos ab. Die Antragsgegnerin schloss das Angebot wegen fehlender Eignung der Antragstellerin und wegen unzulässiger Änderung der Vergabeunterlagen vom Vergabeverfahren aus. Zur Begründung führte sie an, dass der Nachweis der erforderlichen Mindestliquidität nicht geführt worden sei, da das nachgewiesene Eigenkapital erheblich zu niedrig sei und hinsichtlich der vorgelegten Garantieerklärungen Unterlagen fehlten, aufgrund derer die Leistungsfähigkeit der Garanten überprüft werden könne. Im Übrigen habe die Antragstellerin ein veraltetes Kalkulationsblatt verwendet.
In dem von der Antragstellerin eingeleiteten Nachprüfungsverfahren verpflichtete die Vergabekammer die Antragsgegnerin, das Vergabeverfahren bei fortbestehender Beschaffungsabsicht in den Stand vor Auftragsbekanntmachung zurückzuversetzen. Sie begründete dies im Wesentlichen damit, dass die Antragsgegnerin das Eignungskriterium der „Mindestliquidität“ für die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit nicht ordnungsgemäß in der Auftragsbekanntmachung bekanntgegeben habe. Gegen den Beschluss der Vergabekammer legten sowohl die Antragsgegnerin als auch die Beigeladene, die Zuschlagsprätendentin, sofortige Beschwerde ein.
Im laufenden Beschwerdeverfahren eröffnete das AG Leipzig auf Antrag der Antragstellerin am 01.11.2024 das Insolvenzverfahren über deren Vermögen und bestellte einen Insolvenzverwalter, der bereits am 12.09.2024 als vorläufiger Insolvenzverwalter eingesetzt worden war. Als Ergebnis einer Vereinbarung zwischen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin führte diese zunächst die Rettungsdienstleistungen fort, stellte sie aber ab dem 01.10.2024 ein.
Die Antragsgegnerin trat im laufenden Vergabeverfahren erneut in die Prüfung der fakultativen Ausschlussgründe nach § 124 Abs. 1 Nr. 2, 7 GWB ein und setzte der Antragstellerin eine Frist zur Stellungnahme. Die Antragstellerin gab eine kurze Stellungnahme ab und beantragte eine Verlängerung der Frist. Die Antragsgegnerin entsprach dem Antrag nicht und schloss das Angebot nach § 124 Abs. 1 Nr. 2, 7 GWB aus. Die Antragstellerin rügte den Angebotsausschluss.
Der Insolvenzverwalter veräußerte zwei von der Antragstellerin betriebene Pflegeheime an einen Dritten. Seit dem Verkauf war die Antragstellerin nicht mehr werbend am Markt tätig.
Im Rahmen der sofortigen Beschwerde verteidigte die Antragsgegnerin die ursprünglichen Gründe für den Ausschluss des Angebots und trug insbesondere vor, sie habe das Eignungskriterium „Mindestliquidität“ entgegen der Auffassung der Vergabekammer ordnungsgemäß bekanntgemacht. Ferner berief sie sich darauf, dass der Antragstellerin die Antragsbefugnis fehle. Zudem bestätige die negative Fortführungsprognose für die Antragstellerin die Rechtmäßigkeit des Angebotsausschlusses nach § 124 Abs. 1 GWB. Die Beigeladene begründete ihre sofortige Beschwerde im Wesentlichen mit der Verletzung von Rügeobliegenheiten durch die Antragstellerin.
Der Insolvenzverwalter, der kraft Amtes Rechtsnachfolger der Antragstellerin geworden war, trug vor, die sofortigen Beschwerden blieben trotz der zwischenzeitlich eingetretenen Insolvenz der Antragstellerin unbegründet. Alle zeitlich nachfolgenden Aspekte seien nicht relevant. Die Antragstellerin sei antragsbefugt gemäß § 160 Abs. 2 GWB.
Ungeachtet der Insolvenz fühle sich die Antragstellerin weiterhin an ihr Angebot gebunden. Die Fortführung ihres Geschäftsbetriebs sei möglich und verursache nahezu keine Kosten. Unbeachtlich sei, dass die Antragstellerin derzeit über keine Mitarbeiter im Bereich Rettungsdienst verfüge, denn sie könne nach Zurückversetzung des Vergabeverfahrens und erneuter Ausschreibung diesen Geschäftsteil reaktivieren, am Wettbewerb teilnehmen und ein Angebot abgeben. Im Übrigen vertiefte der Insolvenzverwalter das Vorbringen der Antragstellerin aus der ersten Instanz.
Der Vergabesenat wies den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurück, weil sich infolge des zwischenzeitlich eröffneten Insolvenzverfahrens die Sachlage geändert hatte und die Antragsbefugnis der Antragstellerin entfallen war. Der Insolvenzverwalter, der kraft Amtes als Rechtsnachfolger der Antragstellerin in dem Beschwerdeverfahren auftrat, hat nach Ansicht des OLG Dresden ein Interesse an den verfahrensgegenständlichen Rettungsdienstleistungen nicht dargelegt.
Das Gericht führte aus, dass die Antragsbefugnis der Antragstellerin ursprünglich bestanden habe, weil sie sich mit einem Angebot am Vergabeverfahren beteiligt und einen Vergaberechtsverstoß gerügt hätte. Allerdings müsse die Antragsbefugnis während des gesamten Nachprüfungsverfahrens fortbestehen; sie sei auch im Beschwerdeverfahren von Amts wegen zu prüfen (BayObLG, Beschl. v. 19.12.2000 - Verg 10/00; OLG Koblenz, Beschl. v. 25.05.2000 - 1 Verg 1/00; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.07.2020 - VII-Verg 17/16).
Die Antragsbefugnis entfalle während eines laufenden Nachprüfungsverfahrens, wenn der Antragsteller das von der Fähigkeit getragene Interesse zur Teilnahme am ausgeschriebenen Auftrag verliere. Somit bestehe für einen Insolvenzverwalter eines ursprünglich antragsbefugten Antragstellers die Antragsbefugnis nach § 160 Abs. 2 GWB nicht ohne Weiteres fort. Der Insolvenzverwalter habe in Bezug auf die Antragsbefugnis vielmehr darzulegen, dass trotz Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung des Schuldners das operative Geschäft weitergeführt werden solle und ein Interesse an der Erbringung der ausgeschriebenen Leistung bestehe (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 08.07.2020 - VII-Verg 17/16; BayObLG, Beschl. v. 29.07.2022 - Verg 13/21).
Nach Feststellungen des Vergabesenats hat der Insolvenzverwalter im vorliegenden Fall nichts dergleichen dargelegt. Der Senat sah vielmehr einen Widerspruch darin, dass der Insolvenzverwalter einerseits angegeben hat, er plane für die Antragstellerin weiterhin, den Geschäftsbetrieb im Bereich des Krankentransportes aufrechtzuerhalten und fühle sich an das von ihr im Vergabeverfahren abgegebene Angebot gebunden. Dem stünden anderseits seine Einlassungen entgegen, dass der Geschäftsbereich des Krankentransportes von der Antragstellerin derzeit nicht betrieben werde, nachdem der einzige bestehende Vertrag mit der Antragsgegnerin zum 30.09.2024 beendet worden sei. Festzuhalten sei, dass die Antragstellerin, über deren Vermögen das Insolvenzverfahren wegen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung eröffnet worden sei, derzeit kein operatives Geschäft führe. Ferner bestünde kein Insolvenzplan. Aufgrund dieser Umstände ergebe sich keine aktuelle Befähigung zur Teilnahme an dem Vergabeverfahren, aus der das für die Antragsbefugnis notwendige Interesse an dem Auftrag hergeleitet werden könne.
Dem OLG Dresden fehlte es darüber hinaus an einer konkreten Fortführungsprognose. Der Insolvenzverwalter habe den substanziierten Vortrag der Antragsgegnerin, dass die Antragstellerin nicht über eine zur Leitung der Rettungsdienstgeschäfte qualifizierte, fachlich geeignete Person i.S.d. § 3 Abs. 4 Nr. 2 SächsBRKG verfüge, unwidersprochen gelassen. Die Benennung einer solchen Person sei aber zum Nachweis der beruflichen und technischen Leistungsfähigkeit erforderlich. Der Senat hat diesen Umstand als weiteres Indiz für das fehlende Interesse an dem Auftrag gewertet.
Kontext der Entscheidung
Der für die Entscheidung wesentliche sachliche und rechtliche Umstand ist der Ausschlussgrund der Insolvenz, der im vorliegenden Fall jedoch nicht zur Zurückweisung der sofortigen Beschwerde wegen Unbegründetheit geführt hat. Der Vergabesenat hat vielmehr die konkreten, mit der Insolvenz verbundenen Umstände – zu Recht – so bewertet, dass bereits keine Antragsbefugnis vorlag und die sofortige Beschwerde unzulässig war.
In Übereinstimmung mit dem OLG Düsseldorf (Beschl. v. 08.07.2020 - VII-Verg 17/16) und dem BayObLG (Beschl. v. 29.07.2022 - Verg 13/21) verlangt das OLG Dresden nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens einen aktuellen Sachvortrag des Insolvenzverwalters, dass die Voraussetzungen der Antragsbefugnis weiterhin erfüllt sind. Dies ist, ähnlich wie bei der erneuten Eignungsprüfung aufgrund veränderter Umstände, erforderlich und sachgerecht.
Letztendlich setzte sich der Vergabesenat mit den Ausführungen des Insolvenzverwalters auseinander, das Gericht weiche mit den Anforderungen an die Darlegung der Voraussetzungen der Antragsbefugnis gemäß § 160 Abs. 2 GWB von den Grundsätzen ab, die das BVerfG (Beschl. v. 29.07.2004 - 2 BvR 2248/03) und der BGH (Beschl. v. 18.05.2004 - X ZB 7/04; Beschl. v. 26.09.2006 - X ZB 14/06 sowie Beschl. v. 10.11.2009 - X ZB 8/09) aufgestellt hätten. Der Senat verneinte dies mit der Begründung, dass hier die Ablehnung der Antragsbefugnis nicht auf die unzureichende Darlegung eines Schadens gestützt werde. Ferner werde für die Bejahung der Antragsbefugnis kein Vollbeweis, sondern lediglich die schlüssige Darlegung, insbesondere des Interesses an dem ausgeschriebenen Auftrag verlangt.