Substitutionswettbewerb bei ungleichartiger Primärleistung („Fluggastrechteportal“)Leitsatz Zwischen einer Fluggesellschaft, die eine internetgestützte Eingabemöglichkeit zur Geltendmachung von gegen sie gerichteten Entschädigungsansprüchen ihrer Kunden nach der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 anbietet, und dem Betreiber eines Internetportals, das ebenfalls der Geltendmachung solcher Entschädigungsansprüche dient, besteht wegen einer hinreichenden Gleichartigkeit des Leistungsangebots ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG. - A.
Problemstellung Kernpunkt der Entscheidung ist die Frage, ob zwischen Unternehmen, die vollkommen unterschiedliche Primärleistungen erbringen – einer Fluggesellschaft auf Klägerseite und einer Rechtsdienstleisterin für Fluggastrechte auf Beklagtenseite – ein konkretes Wettbewerbsverhältnis i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG besteht. Der BGH nimmt auch für einen solchen Fall an, dass ein konkretes Wettbewerbsverhältnis vorliegt, weil die Unternehmen mit der Ermöglichung der Geltendmachung von Fluggastrechten im Falle einer Verspätung letztlich gleichartige Dienstleistungen innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchen.
- B.
Inhalt und Gegenstand der Entscheidung Die Entscheidung erging auf Revision gegen ein Urteil des OLG Hamburg. Klägerin war eine Fluggesellschaft, die Beklagte ein Internetportal, welches Unterstützung bei der Geltendmachung von Verspätungsansprüchen von Flugästen gegen Airlines aufgrund der Fluggastrechteverordnung (EG) 261/2004 anbietet. Die Unterstützungsleistung umfasst dabei anwaltliche Beratung und ggf. gerichtliche Geltendmachung. Im Ausgangsrechtsstreit warf die Klägerin der Beklagten vor, in E-Mails an Kunden und auf der Internetseite irreführende, herabsetzende und weitere lauterkeitsrechtlich unzulässige Angaben über die Klägerin gemacht zu haben. Auf der Internetseite der Beklagten fand sich etwa bezugnehmend auf die Klägerin die Aussage „You are more than likely to meet a brick wall with the (…) customer service in the event of a challenge.“ Auch wurden in einer Vergleichsliste unterschiedliche Wege der Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Klägerin gegenübergestellt und bewertet („ärgerlich und aussichtslos“). Mit der Klage begehrte sie Unterlassung dieser Angaben. Auf ihrer eigenen Internetseite ermöglichte die Klägerin ihrerseits Kundenreklamationen durch Bereitstellung eines Formulars, mit dem Kunden unmittelbar Entschädigungsansprüche geltend machen können. Zu entscheiden war die Fragen, ob die klagende Fluggesellschaft eine Anspruchsberechtigung als Mitbewerberin gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 1 UWG für die Geltendmachung eines Unterlassungsanspruchs gemäß § 8 Abs. 1 UWG besitzt. Mitbewerber sind nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UWG Unternehmen, die in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen. Ein solches hatte das Oberlandesgericht mit der Begründung verneint, die von den Parteien erbrachten Dienstleistungen seien ungleichartig und der wettbewerbliche Bezug zwischen den beiden Primärleistungen fehle. Die Klägerin ermögliche es als Anspruchsschuldnerin den Kunden mit dem Formular auf der Webseite allein, Entschädigungsansprüche ihr gegenüber geltend zu machen, ohne aber weitere Dienstleistungen anzubieten. Die Beklagte erbringe hingegen die Rechtsdienstleistung der Geltendmachung von Ansprüchen gegenüber Dritten und nehme dabei die Rolle eines Mittlers ein. Damit fehle es zudem an einer Wechselwirkung zwischen den Vorteilen der einen Partei und den Nachteilen der anderen Partei. Die Beklagte wirke nicht auf die Vertragsbeziehung zwischen der Klägerin und ihren Kunden ein. Die Klägerin nehme weiterhin die Forderungsanmeldung entgegen, auch wenn diese anstelle des Verbrauchers durch die Beklagten vorgenommen werde. Der Bundesgerichtshof folgt dieser Begründung nicht und nimmt unter dem Gesichtspunkt der Förderung des eigenen Wettbewerbs einen wettbewerblichen Bezug der Leistungen zueinander an. Dazu definiert er zunächst den Substitutionswettbewerb. Ein solcher setze voraus, dass sich die beteiligten Unternehmer auf demselben sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt betätigen, ohne dass sich der Kundenkreis und das Angebot der Waren und Dienstleistungen vollständig decken müssen. Insbesondere sei nicht erforderlich, dass die Parteien auf der gleichen Vertriebsstufe oder in der gleichen Brache tätig seien. Ausreichend sei letztlich, dass sie gleichartige Waren innerhalb desselben Endverbraucherkreises abzusetzen versuchten. Im Interesse eines wirksamen lauterkeitsrechtlichen Individualschutzes sollen außerdem grundsätzlich keine hohen Anforderungen an das Vorliegen eines konkreten Wettbewerbsverhältnisses zu stellen sein. Es genüge, dass sich der Verletzer durch seine Verletzungshandlung im konkreten Fall in irgendeiner Weise in Wettbewerb zum Betroffenen stellt. Hierfür sei eine Wechselwirkung der Vor- und Nachteile der einen und der anderen Partei erforderlich, wobei allerdings mindestens ein Konkurrenzmoment im Angebots- und Nachfragewettbewerb gegeben sein müsse. Dafür müssten die angebotenen Waren und Dienstleistungen einen wettbewerblichen Bezug zueinander aufweisen. Abzustellen sei stets auf die konkret beanstandete Wettbewerbshandlung, so dass es unerheblich ist, ob die Unternehmen im Übrigen unterschiedlichen Branchen oder Wirtschaftsstufen angehören. Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe sah der Bundesgerichtshof ein Wettbewerbsverhältnis zwischen den Parten gegeben. Durch das hinreichend gleichartige Angebot, Fluggästen die Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen zu ermöglichen, stünden die Parteien in einem Substitutionswettbewerb. Obwohl die Dienstleistung der Beklagten über eine internetbasierte Eingabemöglichkeit hinausgeht und weitere Dienstleistungen umfasst, seien die Angebote der Parteien aus der hierfür maßgeblichen Sicht der Kunden der Klägerin als Endabnehmer insoweit austauschbar, als sie jeweils die Anmeldung von Entschädigungsansprüchen bei der Klägerin ermöglichten. Auch der Umstand, dass die Klägerin lediglich in Erfüllung ihrer Verpflichtung aus der Fluggastrechteverordnung handle, steht dem nicht entgegen, da in Erfüllung gesetzlicher Verpflichtungen gemachte Angaben nicht per se aus dem Anwendungsbereich des Lauterkeitsrechts herausfallen. Zudem geht die Bereitstellung einer internetbasierten Eingabemöglichkeit durch die Klägerin über das Pflichtenprogramm der Verordnung hinaus, denn die Fluglinien sind nicht zur Bereitstellung eines Durchsetzungsmechanismus verpflichtet. In Ergänzung des Primärleistungsangebots komme der Eingabemöglichkeit eine eigene wettbewerbliche Bedeutung zu durch die Kanalisierung von Entschädigungsanträgen und ggf. eine Werbewirkung und Wirkung auf die Kundenbindung. Die Mitbewerbereigenschaft sei somit handlungsbezogen zu ermitteln, so dass es keine Rolle spielen könne, dass die Unternehmen unterschiedliche Primärleistungen erbringen. Im Falle einer Gleichartigkeit von Leistungen folge der wettbewerbliche Bezug schon aus dem Substitutionseffekt, so dass es eines weiteren, über den Substitutionseffekt hinausgehenden wettbewerblichen Bezugs der Leistungen nicht mehr bedarf.
- C.
Kontext der Entscheidung Die Entscheidung unterstreicht erneut, dass der Mitbewerberbegriff des Lauterkeitsrechts handlungsbezogen ist. Es genügt, dass das Wettbewerbsverhältnis erst durch die konkret beanstandete geschäftliche Handlung begründet worden ist. Auch die Branchenzugehörigkeit der beteiligten Unternehmen spielt nach ständiger Rechtsprechung keine Rolle, so dass eine Fluggesellschaft und ein Rechtsdienstleister, der Ansprüche im Sinne der Fluggastrechteverordnung für seine Kunden geltend macht, ohne Weiteres in einem konkreten Wettbewerbsverhältnis stehen können. Für die Substituierbarkeit der jeweils angebotenen Dienstleistungen ist es erforderlich, dass die Unternehmen auf demselben sachlich, räumlich und zeitlich relevanten Markt tätig sind (BGH, Urt. v. 29.03.2007 - I ZR 122/04 Rn. 18 - GRUR 2007, 1079 „Bundesdruckerei“; BGH, Urt. v. 17.10.2013 - I ZR 173/12 Rn. 15 - WRP 2014, 552 „Werbung für Fremdprodukte“). Außerdem unterstreicht sie, dass gerade auch zwischen analogen und digitalen Geschäftsmodellen bzw. Primärleistungen durchaus eine Substituierbarkeit angenommen werden kann und nicht stets auf die für Einzelfälle weiter gefasste Kategorie des Beeinträchtigungswettbewerbs zurückzugreifen ist.
- D.
Auswirkungen für die Praxis Die Entscheidung präzisiert die Voraussetzungen des Substitutionswettbewerbs. Der BGH hat mit Blick auf die konkrete Handlung allein auf die Bereitstellung des Formulars für die Geltendmachung von Ansprüchen abgestellt. Diese erfolgt durch die Klägerin auf der einen und die Beklagte auf der anderen Seite in einer Weise, dass der durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame und verständige Nachfrager die Leistungen als austauschbar ansehen muss. Ob darin allerdings eine Annahme des Verkehrs von der Austauschbarkeit der jeweils angebotenen Dienstleistungen begründet ist, mag zunächst in Zweifel zu ziehen sein. Zwar kommt es für die Betrachtung auf die konkrete Handlung an, allerdings ist zu fragen, ob der durchschnittlich informierte, situationsadäquat aufmerksame und verständige Nachfrager in seine singuläre Betrachtung der Leistung nicht mit einstellt, in welchem Kontext diese angeboten wird. Die Annahme der Substituierbarkeit der angebotenen Güter könnte zu verneinen sein, wo das angebotene Gut als Annex zu einer gänzlich andersartigen Primärleistung (Flugreisen) wahrgenommen wird, so dass eine Austauschbarkeit mit der Primärleistung „Rechtsdienstleistungen“ fernliegt. Dem erteilt der Bundesgerichtshof hier jedoch eine deutliche Absage und nimmt Substituierbarkeit an, auch wenn die Primärleistungen der Unternehmen ungleichartig sind. Damit kam es auf die Konstellation des Beeinträchtigungswettbewerbs (so die Terminologie des BGH in Rn. 23 der vorliegenden Entscheidung) nicht an, bei dem die angebotenen Dienstleistungen aus Sicht der Verbraucher zwar nicht austauschbar sind, die Wettbewerbsmaßnahme aber den Absatz eines anderen Unternehmens beeinträchtigt. Der BGH hatte in der Vergangenheit eine Wechselwirkungslehre zwischen den Vor- und Nachteilen der einen und der anderen Partei bemüht, die aber in der Kritik stand, weil auch beliebige, reflexhafte nachteilige Auswirkungen durch sie erfasst waren (Büscher, GRUR 2016, 113, 115; BGH, Urt. v. 08.11.1984 - I ZR 128/82 - WRP 1985, 397 „Tchibo/Rolex“). Seit der Entscheidung ‚Wettbewerbsbezug‘ (BGH, Urt. v. 26.01.2017 - I ZR 217/15 Rn. 16 - WRP 2017, 1085) ist ein konkreter wettbewerblicher Bezug erforderlich. Ein solcher kann schon dann vorliegen, wenn bloß die Förderung des eigenen Absatzes die Beeinträchtigung eines fremden Absatzes mit sich bringt (zuletzt BGH, Urt. v. 21.11.2024 - I ZR 107/23 - WRP 2025, 62). Diese denkbar weit gezogene Maßstabsbildung wird erst im Rahmen der Prüfung der Unlauterkeit eingehegt, wenn es festzustellen gilt, ob die konkrete Handlung tatsächlich einen unlauteren und damit rechtswidrigen Charakter hat. Liegt – wie vom BGH vorliegend angenommen – Substitutionswettbewerb vor, so bedarf es eines weiteren, über den Substitutionseffekt hinausgehenden wettbewerblichen Bezugs der Leistungen allerdings nicht. Die Entscheidung stärkt die lauterkeitsrechtliche Bewertung von Geschäftsmodellen, die auf der Geltendmachung von Ansprüchen Dritter gegen Provision basieren (Bärenfänger, GRUR-Prax 2025, 469).
- E.
Weitere Themenschwerpunkte der Entscheidung Der Bundesgerichtshof sieht durch die Entscheidung außerdem keine Gefahr einer ungebührlichen Ausweitung der wettbewerbsrechtlichen Anspruchsberechtigung von Unternehmen gegenüber Inkassodienstleistern. Eine der Konstellation in der Entscheidung „Wettbewerbsbezug“ (BGH, Urt. v. 26.01.2017 - I ZR 217/15 - WRP 2017, 1085) vergleichbare Situation liege nicht vor. Darin hatte der Bundesgerichtshof argumentiert, dass bei der Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen einem Unternehmen und einem Rechtsanwalt Zurückhaltung geboten sei, wenn ansonsten für die Annahme eines Wettbewerbsverhältnisses ausreiche, dass sich die anwaltliche Tätigkeit für das Unternehmen geschäftlich nachteilig auswirkt. Der Bundesgerichtshof hält diese Gefahr im vorliegenden Fall nicht für gegeben und verweist auf die untypische Konstellation, wonach ein Unternehmen gegen sich selbst gerichtete Ansprüche seiner Kunden zum Bestandteil seines Leistungsangebots macht.
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