Kontext der Entscheidung
Das Urteil des Zweiten Senats des BAG überrascht nicht, nimmt man die bisherige Judikatur dieses Senats wie auch des Sechsten und des Achten Senats zur Kenntnis. Alle zu § 167 Abs. 1 SGB IX bzw. der Vorläuferreglung des § 84 Abs. 1 SGB IX ergangenen Urteile des BAG sind von der Zielsetzung getragen, dem Arbeitgeber innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG die Freiheit zur Kündigung unabhängig von den sich aus einem Präventionsverfahren ergebenden Pflichten zu erhalten und nicht etwa – verdeckt – eine Kündigungsvoraussetzung aufzustellen. Das Urteil des LArbG Erfurt vom 04.06.2024 (1 Sa 201/23) spricht diesen Aspekt ausdrücklich an und legt so den für die Auslegung maßgebenden Grund offen.
Die vom 2. Senat in den Vordergrund gerückte Eindeutigkeit des Wortlauts von § 167 Abs. 1 SGB IX existiert offensichtlich nicht, wie schon der nachfolgende Begründungsaufwand für die einschränkende Auslegung der Pflicht zur Durchführung des Präventionsverfahrens belegt. Die vorgebliche Eindeutigkeit des Wortlauts dient lediglich dazu, die Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung auszuschließen, deren Ergebnis eine Zuordnung von § 167 Abs. 1 SGB IX zu Art. 5 RL 2000/78/EG oder Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG sein könnte. Auf diese Weise konnte das BAG sich jede Erwägung dahin ersparen, ob § 167 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und das dort mitgewährleistete Gebot einer Förderung von Menschen mit Behinderung (BVerfG, Beschl. v. 16.12.2021 - 1 BvR 1541/20 Rn. 94 m.w.N.) dahin auszulegen sein könnte, dass die Pflicht zur Durchführung eines Präventionsverfahrens unabhängig davon besteht, ob eine – spätere – Kündigung in den Anwendungsbereich des KSchG fallen würde.
§ 167 Abs. 1 SGB IX ist nach einer – in der Literatur vom BAG nicht zur Kenntnis genommenen – Auffassung als Konkretisierung von § 164 Abs. 4 SGB IX anzusehen (Wietfeld, RdA 2025, 49, 51 m.w.N. in Fn. 26). Die erste Regelung zum Präventionsverfahren war in § 14c SchwbG enthalten, eingefügt durch Art. 1 Nr. 10 des SchwbÄG v. 29.09.2000 (BGBl I 2000, 1394). Art. 1 Nr. 9 SchwbÄG v. 29.09.2000 hatte § 14 SchwbG neugefasst. Dessen Absatz 3 hatte die heute in § 164 Abs. 4 SGB IX enthaltene Regelung zum Anspruch auf eine behinderungsgerechte Beschäftigung enthalten.
§ 167 Abs. 1 SGB IX geht zurück auf § 84 Abs. 1 SGB IX in seiner bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung. Diese Regelung hatte § 14c SchwbG übernommen, ergänzt um die Einschaltung der Hauptfürsorgestelle (
BT-Drs. 14/5074, S. 113), an deren Stelle jetzt das Integrationsamt getreten ist. Ziel der im Jahr vorgenommenen Änderungen des SchwbG war laut Entwurfsbegründung der Bundesregierung vom 16.05.2000 (
BT-Drs. 14/3372) unter anderem ein Ausbau der betrieblichen Prävention. Es sei von ganz entscheidender Bedeutung, Schwierigkeiten bei der Beschäftigung Schwerbehinderter möglichst gar nicht erst entstehen zu lassen, sie jedenfalls möglichst frühzeitig zu beheben, um eine dauerhafte Fortsetzung des Beschäftigungsverhältnisses zu ermöglichen (
BT-Drs. 14/3372, S. 16, 19). Das Ziel der Frühzeitigkeit einer Prävention wird in der Judikatur des BAG nicht zur Kenntnis genommen.
Den Gesetzgebungsmaterialien des Jahres 2000 ist nicht zu entnehmen, dass die durch § 167 Abs. 1 SGB IX begründeten speziellen Pflichten des Arbeitgebers erst bzw. nur dann bestehen, wenn die im Raum stehenden Schwierigkeiten im Falle ihrer mangelnden Beseitigung für den Arbeitgeber eine Kündigung erforderlich machen, die der Anwendung des KSchG unterfällt. Auf den Geltungsbereich des KSchG stellt allein § 173 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB IX insoweit ab, wie danach Kündigungen vor Ablauf der Wartezeit von sechs Monaten erfolgen sollen. Solche Kündigungen bedürfen – abweichend von der Regel – nicht der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes, werden aber ungeachtet dessen von der Pflicht des § 173 Abs. 4 SGB IX erfasst, eine solche Kündigung dem Integrationsamt innerhalb von vier Tagen anzuzeigen. Anhand dieser Mitteilung kann das Integrationsamt prüfen, ob seine vorherige Einbeziehung im Rahmen eines nach § 167 Abs. 1 SGB IX gebotenen Präventionsverfahrens erfolgt ist. Das Integrationsamt kann auch prüfen, wie es im Hinblick auf die mangelnde Berücksichtigung von ihm unterbreiter Vorschläge in einem vorausgegangenen Präventionsverfahren künftig agiert, um eine Beendigung von Beschäftigungsverhältnissen trotz aufgetretener Schwierigkeit besser zu vermeiden. Diese Prüfung setzt voraus, dass tatsächlich ein Präventionsverfahren betrieben worden ist, in dem das Integrationsamt Vorschläge zur Beseitigung der aufgetretenen Schwierigkeiten hat unterbreiten können. Findet ein solches Verfahren nicht statt, läuft die der Anzeige nach § 173 Abs. 4 SGB IX nachfolgende Prüfung ins Leere.
Das Recht auf eine behinderungsgerechte Beschäftigung entsprechend § 164 Abs. 4 SGB IX besteht unmittelbar nach Beginn des Beschäftigungsverhältnisses und ist nicht davon abhängig, dass die Beschäftigung im Anwendungsbereich des KSchG erfolgt. § 164 Abs. 4 SGB IX enthält keinen entsprechenden Vorbehalt. Gleiches gilt für § 167 Abs. 1 SGB IX. Dafür spricht – entgegen der Judikatur des BAG – bereits der Wortlaut dieser Regelung. Sie stellt gerade nicht auf einen „Grund in der Person, im Verhalten“ oder ein „dringendes betriebliches Erfordernis“ ab, übernimmt also nicht die Begrifflichkeiten des § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Stattdessen stellt § 167 Abs. 1 SGB IX auf – personen-, verhaltens- oder betriebsbedingte – „Schwierigkeiten“ ab, deren mangelnde Behebung zur Gefährdung des Beschäftigungsverhältnisses führen können (nicht müssen). Sachlich und zeitlich erfasst die Regelung damit Gefährdungen schon zu einem Zeitpunkt, zu dem noch keine Entscheidung über einer Kündigung konkret ins Auge gefasst worden ist. Dieser Umstand illustriert, dass die vom BAG angenommene Eindeutigkeit des Wortlauts des § 167 Abs. 1 SGB IX einen Kunstgriff darstellt, dessen Anwendung lediglich anderweitige Auslegungsmöglichkeiten ausschließen soll, weil sie „contra legem“ erfolgten.
Im Hinblick auf das Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG jedenfalls nach der Rechtsprechung des BVerfG zu entnehmende Fördergebot hätte das BAG anstelle seiner einschränkenden Auslegung eine wortlautnahe weite Auslegung vornehmen müssen, um die durch § 167 Abs. 1 SGB IX erfolgte Konkretisierung der sich aus § 164 Abs. 4 SGB IX ergebenden Ansprüche wirksam werden zu lassen. Aus den gleichen Gründen besteht auch Raum, § 167 Abs. 1 SGB IX einerseits, § 5 AGG, Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG andererseits im Wege richtlinienkonformer Auslegung Art. 5 RL 2000/78/EG zuzuordnen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX normiert nach richtiger Auffassung des BAG und ihm insoweit folgender Literatur keine Kündigungsvoraussetzung und ändert nichts daran, dass Kündigungen in der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX ohne Zustimmung des Integrationsamtes erfolgen können. Damit ist jedoch die Frage nicht beantwortet, ob ein Arbeitgeber seine aufgrund des § 167 Abs. 1 SGB IX bestehenden Pflichten ignorieren und innerhalb der Wartezeit gleichwohl kündigen darf. § 164 Abs. 4 SGB IX begründet ebenso wie § 167 Abs. 1 SGB IX Pflichten des Arbeitgebers, deren Erfüllung dem Anwendungsbereich von § 241 Abs. 2 BGB zuzuordnen ist. Dies führt zur weiteren Frage, ob die mangelnde Erfüllung der sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebenden Pflicht einen Anspruch auf Unterlassung von Maßnahmen begründet, die eine Erfüllung der sich aus § 167 Abs. 1 SGB IX ergebenden individuellen Rechte unmöglich machen. Nimmt man dies an, wäre die ohne Beachtung von § 167 Abs. 1 SGB IX erfolgende Inanspruchnahme des Rechts zur Kündigung als rechtmissbräuchlich einzustufen mit der Folge, dass die Kündigung aufgrund treuwidriger Rechtsausübung im Kündigungsschutzprozess für unwirksam zu erklären wäre.
§ 167 Abs. 1 SGB IX regelt wie § 164 Abs. 4 SGB IX bestimmte Beschäftigungsbedingungen von Schwerbehinderten i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG, Art. 3 Abs. 1 Buchst. c RL 2000/78/EG und ist als Maßnahme i.S.d. § 5 AGG, Art. 7 Abs. 1 RL 2000/78/EG zu behandeln (zur Einstufung von § 165 Satz 3 SGB IX als Maßnahme i.S.d. § 5 AGG BVerwG, Urt. v. 03.03.2011 - 5 C 16/10 Rn. 17 f.). Die §§ 164 Abs. 4, 167 Abs. 1 SGB IX sehen Maßnahmen vor, die dem Ausgleich von Benachteiligungen aufgrund einer Behinderung dienen bzw. verhindern sollen, dass sich eine Behinderung nachteilig auf die Durchführung oder den Fortbestand eines Beschäftigungsverhältnisses von Schwerbehinderten auswirkt.
§ 167 Abs. 1 SGB IX ist darüber hinaus entsprechend Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG als Maßnahme zur Förderung der Eingliederung von Menschen mit Behinderung anzusehen, weil das Präventionsverfahren die Aufrechterhaltung einer bereits erfolgten Eingliederung in ein Beschäftigungsverhältnis unterstützt. Für Maßnahmen, die Art. 7 Abs. 2 RL 2000/78/EG zuzuordnen sind, müssen die Mitgliedstaaten die Vorgaben des – allgemeinen – Grundsatzes der Gleichbehandlung beachten, der sich aus den Art. 20 f. GRCh ergibt (EuGH, Urt. v. 09.03.2017 - C-406/15 Rn. 53 ff. „Milkova“). Dieser Grundsatz muss nicht beachtet werden, wenn eine unterschiedliche Behandlung auf einem objektiven und angemessenen Kriterium beruht, d.h. wenn die Unterscheidung im Zusammenhang mit einem rechtlich zulässigen Ziel steht, das mit der in Rede stehenden Regelung verfolgt wird, und wenn die Unterscheidung in angemessenem Verhältnis zu dem verfolgten Ziel steht (EuGH, Urt. v. 09.03.2017 - C-406/15 Rn. 55).
Das BAG nimmt keine entsprechende Prüfung vor, gestützt auf den vermeintlich eindeutigen Wortlaut der Regelung. Eine solche Prüfung, die nach Maßgabe der unionsrechtlichen Kriterien erfolgen muss, obliegt den nationalen Gerichten und würde zu dem Ergebnis führen, dass die Geltung von § 164 Abs. 4 SGB IX für Arbeitsverhältnisse unabhängig vom Anwendungsbereich des KSchG und die Beschränkung der Geltung von §§ 167 Abs. 1 SGB IX auf Arbeitsverhältnisse im Anwendungsbereich des KSchG zu einer sachlich nicht rechtfertigungsfähigen Ungleichbehandlung führen. Warum die durch die Anwendung des KSchG bereits geschützten Beschäftigten auch Anspruch auf die Vorteile eines Präventionsverfahrens haben sollen, während Beschäftigte ohne gesetzlichen Kündigungsschutz auch diese Vorteile nicht haben sollen, lässt sich nicht auf einen tragfähigen rechtmäßigen Grund zurückführen. Es verhält sich vielmehr umgekehrt: gerade wer keinen gesetzlichen Kündigungsschutz in Anspruch nehmen kann, verdient wenigstens den Schutz durch ein Präventionsverfahren. Dies gilt auch im Hinblick auf den durch Art. 3 Abs. 1 GG gewährleisteten allgemeinen Gleichheitssatz und erst recht im Hinblick auf das Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG entnommene Fördergebot.
§ 167 Abs. 1 SGB IX gewährleistet, dass jedenfalls das Integrationsamt vor Ausspruch einer Kündigung über die vom Arbeitgeber angenommenen und die Fortsetzung der Beschäftigung gefährdenden Schwierigkeiten unterrichtet werden muss. Diese Transparenz ist geeignet, den Betroffenen frühzeitig Klarheit über die Erwägungen des Arbeitgebers zu verschaffen. Das gilt auch dann, wenn das Präventionsverfahren ohne Beteiligung der betroffenen Person durchgeführt werden sollte, da sie insoweit ggf. Auskunft vom Integrationsamt verlangen kann. Auf diese Weise kann einer Kündigung vorgebeugt werden, deren Grundlage in Beschäftigungsbedingungen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG) liegt, die in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit der Behinderung stehen, und dann sowohl nach § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX wie nach § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. § 134 BGB verboten wäre.
Die Rechtsprechung des BAG lehnt eine Zuordnung der sich aus § 167 SGB IX ergebenden Pflichten des Arbeitgebers zum Kreis der nach Art. 5 Sätze 1, 2 RL 2000/78/EG gebotenen angemessenen Vorkehrungen zur Anwendung des in den Art. 1, 2 Abs. 1 RL 2000/78/EG gewährleisteten Gleichbehandlungsgrundsatzes auf Menschen mit Behinderung ab (zust. Mohr in: EuArbR, 5. Aufl. 2024, Art. 5 RL 2000/78/EG Rn. 14; a.A. von Roetteken, ZBR 2013, 325, 333). Der durch § 167 Abs. 1, 2 SGB IX geforderte Suchprozess soll keine Maßnahme sein, um Menschen mit Behinderung die Ausübung ihres Berufs zu ermöglichen. Eine solche Maßnahme kommt für das BAG nur als Ergebnis des Suchprozesses in Betracht. Diese Auslegung hat für sich, dass der Erwägungsgrund Nr. 20 der RL 2000/78/EG beispielhaft nur konkrete Maßnahmen zur Gestaltung des Arbeitsplatzes, die Anpassung des Arbeitsrhythmus, der Aufgabenverteilung oder des Angebots von Ausbildungs- und Einarbeitungsmaßnahmen erwähnt. Der EuGH sieht in einer Arbeitszeitermäßigung ebenfalls eine Maßnahme i.S.d. Art. 5 Sätze 1, 2 RL 2000/78/EGEuGH, Urt. v. 11.04.2013 - (C-335/11 Rn. 55 „HK Danmark“). Die Aufzählung im Erwägungsgrund Nr. 20 der RL 2000/78/EG ist allerdings nicht abschließend (EuGH, Urt. v. 11.04.2013 - C-335/11 Rn. 56; EuGH, Urt. v. 21.10.2021 - C-824/19 Rn. 57 m.w.N. „Komisia za zashtita ot diskriminatsia“). Zu den von Art. 5 Sätze 1, 2 RL 2000/78/EG erfassten Maßnahmen gehören auch solche organisatorischer Art (EuGH, Urt. v. 11.04.2013 - C-335/11 Rn. 55). Es ist deshalb keineswegs offenkundig, dass die Pflicht zur Suche nach Maßnahmen, die für eine Beseitigung von Schwierigkeiten, die einer Fortsetzung eines Beschäftigungsverhältnisses von Menschen mit Behinderung entgegenstehen, in Betracht kommen, außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 5 RL 2000/78/EG steht. Das Gegenteil liegt nahe. Die Klärung dieser Auslegungsfrage obliegt allein dem EuGH, nicht einem nationalen Gericht. Insoweit ist eine Vorlage an den EuGH geboten (Art. 267 Abs. 1 Buchst. b, Abs. 2, 3 AEUV).
Die Zuordnung der sich aus § 167 Abs. 1 SGB IX ergebenden Pflichten zu Art. 5 Sätze 1, 2 RL 2000/78/EG hätte zur Folge, dass eine Kündigung zur Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses als Diskriminierung i.S.d. Art. 2 Abs. 2 Buchst. a RL 2000/78/EG einzustufen ist, wenn der Arbeitgeber vor Ausspruch dieser Kündigung seinen Pflichten nach Art. 5 RL 2000/78/EG nicht entsprochen hätte (EuGH, Urt. v. 11.07.2006 - C-13/05 Rn. 50 ff. „Chacón Navas“; st. Rspr.). In diesem Fall würde die Kündigung gegen § 7 Abs. 1 AGG i.V.m. den §§ 3 Abs. 1 Satz 1, 2 Abs. 1 Nr. 2, 1 AGG bzw. § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verstoßen und wäre nach § 134 BGB nichtig.
Auswirkungen für die Praxis
Das Urteil des Zweiten Senats des BAG stellt Arbeitgeber von der Beachtung des § 167 Abs. 1 SGB IX frei, soweit die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses – noch – nicht dem Anwendungsbereich des KSchG unterfällt. Das gilt sowohl für Kündigungen während der ersten sechs Monate eines Arbeitsverhältnisses (§ 1 Abs. 1 KSchG) wie – nunmehr – auch für Kündigungen in sog. Kleinbetrieben (§ 23 Abs. 1 KSchG). Diese Auslegung erleichtert es den Arbeitgebern, sich in den ersten sechs Monaten eines Arbeitsverhältnisses bzw. in Kleinbetrieben von schwerbehinderten Beschäftigten zu trennen, da es nicht erforderlich ist, einem bei ihnen bestehenden Betriebsrat, einer ggf. vorhandenen Schwerbehindertenvertretung Angaben darüber zu machen, aus welchen Gründen die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses mit einem schwerbehinderten Menschen nicht in Betracht kommen soll. Ebenso wenig besteht ein solches Transparenzgebot im Verhältnis zum Integrationsamt. Es erfährt nach § 173 Abs. 4 SGB IX lediglich von der tatsächlich erklärten Kündigung, kann aber nicht darauf hinwirken, sie durch eine Behebung der einer Weiterbeschäftigung entgegenstehenden Schwierigkeiten ggf. zu unterlassen.
§ 167 Abs. 1 SGB IX gilt nach § 211 SGB IX auch für Beamten-, Richter- und Soldatenverhältnisse (Gutzeit in: BeckOK Sozialrecht, 01.06.2025, § 167 SGB IX Rn. 4; Welti, NZS 2006, 623, 624; Düwell in: Dau/Düwell/Joussen/Luik, SGB IX, 6. Aufl. 2022, § 167 Rn. 139; von Roetteken, ZBR 2013, 325 m.w.N. in Fn. 4). Die Verwendung des Begriffs eines sonstigen Beschäftigungsverhältnisses in § 167 Abs. 1 SGB IX. bestätigt diese Auslegung, so dass der – entsprechenden – Anwendung nicht entgegensteht, dass die Pflicht zur Durchführung eines Präventionsverfahrens nach dem Wortlaut auf den Arbeitgeber und nicht auch auf den Dienstherrn bezogen ist (vgl. § 154 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 SGB IX; von Roetteken, ZBR 2013, 325). In der Auslegung durch das BAG erschließt sich für § 167 Abs. 1 SGB IX kein sinnvoller Anwendungsbereich auf öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse, da für deren mögliche Beendigung nicht an den Anwendungsbereich des KSchG angeknüpft werden kann. Die Gefährdung des Fortbestandes eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses aufgrund einer in § 167 Abs. 1 SGB IX genannten Schwierigkeit kann zu jedem Zeitpunkt eintreten, unabhängig davon, ob das Dienstverhältnis auf Lebenszeit, auf Probe oder Widerruf besteht. Insoweit kann nicht auf die in § 1 Abs. 1 KSchG vorgesehene Wartezeit abgestellt werden, da es dafür an jedem gesetzlichen Anhaltspunkt fehlt. Dieser Umstand belegt, dass für Schwerbehinderte in einem Arbeitsverhältnis nichts anderes gelten kann, um den Anforderungen des allgemeinen Gleichheitssatzes zu genügen. Die Auslegung des BAG ist deshalb auch im Hinblick auf § 211 SGB IX verfehlt.